© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

„Der Euro wird nicht mehr akzeptiert werden“
Interview: Degussa-Chef Markus Krall schlägt im Gespräch mit JF-Redakteur Mathias Pellack einen Goldstandard für die kommende Währung vor

Herr Krall, wird die EZB demnächst eine Null auf unseren Euroscheinen hinzufügen?

Markus Krall: Die Inflation, die die EZB so sehnlich herbeiwünscht, wird eintreten, allerdings anders, als man sich das im EZB-Tower vorstellt. Die Inflation ist kein Hauskätzchen, sondern ein nicht domestizierbares Raubtier. Wenn die Zentralbanker es mit den Mengen an Geld, die sie bereits gedruckt haben, erst mal aus dem Käfig lassen, dann wird es sie auffressen.

Auffressen? Das klingt brutal ... 

Krall: Die Inflation wird sich mit erst zwei-, dann drei- und dann vierstelligen Prozentzahlen durch die Nominalvermögen der Bürger fressen, ihre Kaufkraft komplett zerstören. Das Geld verliert erst seine Wertaufbewahrungs- und dann seine Transaktionsfunktion. Die Menschen fliehen aus dem Geld, sobald ihnen das klar wird. Der Euro wird keine im Alltagsgebrauch akzeptierte Währung mehr sein. Was dann noch im Eurotower passiert, ist ohne Bedeutung und ohne Belang. Das meine ich mit Auffressen. 

Könnte nicht auch ein allgemeiner Schulden­erlaß die Instabilität des Euro bekämpfen und die sich anbahnende Inflation ausbremsen?

Krall: Daß ein „allgemeiner“ Schuldenerlaß die Probleme lösen könnte, gehört zu den naiven Vorstellungen unserer immer sozial engagierten Rettungspolitik. Die Schulden des einen sind immer die Guthaben und Forderungen eines anderen. Sie zu streichen zerstört auch die Ersparnisse, die ihrer Bildung vorausgegangen sind. Schulden sind auch immer Guthaben auf Sparkonten, Angespartes auf Lebens- und Pensionsversicherungen, Rentenansprüche oder Anleiheportfolios. Diese sollten einmal Millionen Menschen den Lebensabend und die Rente sichern. Sie werden verlorengehen. Aber ich lehne es ab, diesem Totalverlust als Folge der geldsozialistischen Politik unserer Regierenden und der Zentralbanken ein soziales Mäntelchen umzuhängen. Dieser Totalverlust tritt ein durch Inflation und ist zutiefst asozial. Er wird Alters­armut und soziale Unruhen zur Folge haben.

Statt dessen deutet EZB-Chefin ­Christine ­Lagarde an, das aktuelle Euro-Inflationsziel von „unter, aber nahe zwei“ steigen zu lassen. ­Gertrud ­Traud, die Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen, rechnet mit bis zu drei Prozent für Deutschland im kommenden Jahr. War das nicht erwartbar?

Krall: Daß die EZB das Inflationsziel nach Belieben manipulieren würde, war in der Tat zu erwarten. Daß die Inflation, wenn sie erst mal startet, bei drei Prozent haltmachen könnte, kann hingegen nur dem Naivitätslappen des Hirns einer dem keynesianischen Machbarkeitswahn ergebenen Person entspringen. Man kann die Inflation nicht steuern, nicht auf ganze und noch weniger auf Bruchteile von Prozentzahlen, es sei denn, man manipuliert die Statistik. Die Inflation kommt, aber eben nicht so, wie diese Damen sich das vorstellen.

Lagarde begründet diese Entscheidung damit, daß das Inflationsziel „glaubwürdig“ sein solle. Sie sagt, die Öffentlichkeit müsse es „leicht verstehen können“. Diese Begründung hat mich überrascht, denn sie ist ja nicht annähernd eine wirtschaftspolitische.

Krall: Die EZB und ihre Chefin haben schon lange die Kontrolle verloren. Das ist bereits unter ihrem Vorgänger, ­Mario ­Draghi, passiert, der uns geschlagene acht Jahre lang ein Inflationsziel von zwei Prozent vorgebetet hat und der dieses – wenn auch falsche! – Ziel in all diesen Jahren nicht einmal streifen konnte. Der Grund war einfach: Der Nullzins wirkt erst mal sehr lange deflationär, nicht inflationär. Er zombiefiziert die Wirtschaft, drückt damit das langfristige Wachstumspotential der Volkswirtschaft und somit auch die Inflation. Zugleich untergräbt er die Risikotragfähigkeit der Banken und zehrt so an ihrer Fähigkeit zur Giralgeldschöpfung. Die Folge: Deflation, nicht Inflation. 

Wohin bringt uns das?

Krall: Dieser deflationäre Druck entlädt sich derzeit in der depressiven Phase unserer Wirtschaft, und dies führt dazu, daß die EZB noch mehr Geld drucken und somit noch mehr den Zins drücken muß. Die daher zwingend überschießende Geldmenge wird ihr die Inflation dann schlagartig bescheren, sobald die Menschen das Vertrauen in die Währung verlieren, was zwingend passiert, wenn die schlechten Assets auf der Zentralbankbilanz den Wert des Geldschöpfungsmonopols der EZB übersteigen.

Wie hoch liegt der Wert des Geldschöpfungsmonopols der EZB?

Krall: Er beträgt ungefähr die Höhe des jährlichen Bruttosozialprodukts des von ihm abgedeckten Währungsraumes. Man kann ihn schätzen als Barwert einer Zahlungsreihe von Cash-Flows, die die Zentralbank an den Staat ausschütten kann, ohne Inflation auszulösen.

Sie propagieren immer wieder die Rückkehr zu einem Goldstandard, also dazu, daß unsere Währung in Gold umtauschbar sein soll. Wie würde Ihr Unternehmen profitieren, wenn ein neuer Goldstandard eingeführt werden würde?

Krall: Das Unternehmen Degussa würde überhaupt nicht davon profitieren, weil ein Goldstandard den Handel mit Gold überflüssig machen würde. Gold wäre dann Zahlungsmittel und kein klassisches Handelsgut mehr. Der Goldhandel würde also im Gegenteil zu dem, was mir unterstellt wird, überflüssig werden. Die Degussa müßte sich in diesem Fall ein neues Geschäftsmodell suchen. Ich fordere den Goldstandard also nicht aus Egoismus, sondern aus Verantwortungsbewußtsein und in dem Wissen, daß ich dann eine sehr schwere Managementaufgabe zu bewältigen hätte.

Das klingt sehr edel von Ihnen. Aber Sie müssen doch einen konkreten Nutzen darin sehen.

Krall: Natürlich sehe ich einen konkreten Nutzen darin. Aber nicht für die Degussa, sondern für die Menschen in unserem Land. Sie können aber auch davon ausgehen, daß wir bei der Degussa auch in diesem Fall neue Wege finden werden, das Unternehmen in eine gute Zukunft zu führen. Vielleicht als Dienstleister für die Betreiber des neuen Goldstandards oder als Logistik- und Lagerunternehmen für Zahlungsmittel. Aber soweit ist es noch nicht. 

Vertrauen müßte man dem Staat auch wenn es wieder einen Goldstandard gäbe. Schließlich werden keine Goldmünzen als Zahlungsmittel zurückkehren, sondern Papierscheine, Geldnoten, die zu einem festen Kurs umtauschbar sein müßten.

Krall: Die Natur eines echten Goldstandards ist die Verfügbarkeit von Goldmünzen als Zahlungsmittel und der Rechtsanspruch, gleichlautende Banknoten jederzeit in Goldmünzen umtauschen zu können. Alles andere ist kein Goldstandard, sondern eine Täuschung. Aber weil ich dem Staat nicht vertraue, daß er dies nicht – wie 1914 schon einmal – wieder einfach willkürlich aufkündigt, schlage ich vor, daß das Gold der Zentralbank bei einem Treuhänder im Ausland – die Schweiz oder Liechtenstein würden sich hier anbieten – hinterlegt wird, der einer Aufkündigung der Umtauschpflicht nicht Folge leisten muß. Zusätzlich kann das Ganze durch eine als Notar fungierende Blockchain abgesichert werden.

Sie plädieren dafür, Staat und Geld zu trennen. Wie soll das funktionieren? Wer beaufsichtigt das Geld? Wer tauscht beschädigte Banknoten gegen neue aus?

Krall: Das funktioniert durch den Wettbewerb privater Zentralbanken. Das braucht auch nicht beaufsichtigt zu werden, denn Markt und Wettbewerb werden dies leisten.

Noch eine letzte Frage zum Thema Geld: Was unterscheidet Steuern eigentlich von Schutzgeld?

Krall: Ich sehe, Sie lesen meinen ­Twitter-Account. Die Antwort auf diese rhetorische Frage lautet: Im Prinzip gar nichts.

Wäre eine Mafia, die sich um Ihr Wohl bemüht – die also Straßen baut, Schulen unterhält und den Nachbarclan davon abhält, Ihren Laden zu überfallen –, wäre das nicht eine gute Sache?

Krall: Eine Mafia ist keine gute Sache, weil sie auf Zwang beruht. Der Mensch ist nur Teil einer freien Gesellschaft, wenn er alle seine ökonomischen Entscheidungen nicht unter Zwang, sondern freiwillig trifft. Wenn ihm jemand Schutz gegen Geld anbietet und er diese Dienstleistung zu seinem eigenen Nutzen erwerben möchte, – ohne Folgen fürchten zu müssen, die ihm zum Nachteil gereichen, falls er diese Dienstleistung nicht erwirbt, – nur dann liegt Freiwilligkeit vor. Der Bürger wird dann selber wissen und entscheiden, ob er das kauft. Dann ist es aber keine Mafia mehr, sondern ein Sicherheitsdienstleister.

Also würden Sie den Staat nicht ganz abschaffen wollen?

Krall: Der Staat hat einige wenige genuine Aufgaben, auf die er beschränkt werden sollte: innere und äußere Sicherheit, Recht setzen und Recht sprechen. Ob er auch eine soziale Komponente braucht, sollten die Bürger auf Gemeindeebene entscheiden.

Und wie hoch sollten die Steuern sein, die der Staat dafür in Ihren Augen gerechterweise nehmen darf?

Krall: Maximal 15 Prozent des Bruttosozialprodukts. Und auf keinen Fall soll der Staat Leistung, Einkommen oder Vermögen besteuern dürfen. Ja, es sollte ihm untersagt sein, überhaupt Informationen zu haben, die ihm für solche Steuern eine Grundlage liefern.

In der ersten Ausgabe des Finanzmagazins von 2018 sagte uns Professor Max Otte, der auch als „Crash-Prophet“ bezeichnet wird, daß bis inklusive 2020 ein Börsencrash kommt. Dank Corona hatte er recht. Wollen Sie ebenfalls eine Prognose stellen?

Krall: Nun, die Prognose des Crashs, der 2020 beginnen sollte und bis 2022 in das Ende des Euro führen wird, finden Sie in meinen alten Publikationen zuhauf. Daran halte ich fest, mit und ohne Corona. Außerdem hoffe ich, daß wir 2021 keine Kanzlerin mehr haben. Ich plädiere nach 16 Jahren Matriarchat in diesem Land für eine Männerquote in der Sache. Aber bitte jemand, den man auch als richtigen Mann bezeichnen kann mit Mut und der Kraft, eine echte Wende herbeizuführen. Jedoch sollte sich da niemand täuschen: Wer immer nach den Wahlen im Herbst 2021 Kanzler wird, der wird die Krenz-Erfahrung machen, nach ein paar Wochen in einem kollabierenden System am Ende der Karriere angelangt zu sein.






Markus Krall war Berater und Partner bei der Unternehmensberatung Roland Berger und Risikomanger bei McKinsey & Company. Im Juni dieses Jahres erhielt er die Roland Baader Auszeichnung dafür, „die Lehre von der friedlichen Entwicklung der Menschen in einer freien Gesellschaft“ einem breiten Publikum in verständlicher Form zugänglich zu machen.