© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Die Kunst, nicht das Falsche zu kaufen
Interview: Autor und Investor Markus Elsässer spricht mit JF-Redakteur Christian Dorn über das „Nein!“ zu schlechten Anlagen
Christian Dorn

Herr Elsässer, wenn die Börse zu 90 Prozent aus Psychologie besteht, was unterscheidet dann den Investor vom Spekulanten? 

Markus Elsässer: Der Spekulant muß lernen, andere Marktteilnehmer einzuschätzen: die großen Pensionskassen, aber auch den Daytrader und den Kleinsparer. Der Investor hingegen muß sich schulen, Unternehmen beurteilen zu können: die Substanz einer Firma, die Bilanz, die Qualität des Managements, Marktanteile usw. Er darf sich nicht um das Gezeter der anderen Marktteilnehmer kümmern. Eines Tages wird sich nämlich der wahre Wert einer Firma durchsetzen.

Laut Börsenlegende André Kostolany soll man in der Rezession Aktien kaufen, da die Regierung die Geldmenge erhöhe und das Geld „der Sauerstoff der Börse“ sei. Aber sind wir nicht längst „übersäuert“?

Elsässer: Wir haben an den Weltmärkten durch Regierungs- und Zentralbankmaßnahmen eine sehr große Menge freien Geldes, aber hinzu kommt – und das gab es zu Kostolanys Zeiten noch nicht –, daß wir eine Ära des Nullzinses haben. Der Sparer erhält auf recht risikofreie Anlagen keinen Zins – im Gegenteil, er muß teils draufzahlen. Die Börsenkurse werden stark von diesem Ungleichgewicht getrieben, daß es auf der einen Seite keinen Zins gibt, aber auf der anderen Dividenden.

Orientiert sich der Jungaktionär heute an den Schlagzeilen der Börsenzeitungen, mutiert er schnell zum Junkaktionär. Was sollte man tun?

Elsässer: Auch der Kleinsparer oder junge Menschen, die am Anfang ihrer Vermögensbildung stehen, sollten sich angewöhnen, mit allergrößtem Respekt vor dem Geld zu agieren. Denken Sie nie, eine Anlage sei nur „Spielgeld“, als würde man da einfach nur mal irgendwas probieren, weil es nur wenige Euro sind. Das ist ganz fatal! Denken Sie immer in Prozent. Und das Wichtigste ist: Vermeiden Sie hohe Verluste.

Wie meinen Sie das?

Elsässer: Einen Verlust aufzuholen ist doppelt so schwer, wie einen Gewinn zu machen. Und ein übermäßiger Konsum marktschreierischer Texte über den „großen Gewinn“ ist nicht hilfreich. Es ist viel besser, seine Allgemeinbildung mit Wochenzeitungen und Magazinen über Politik, Wirtschaft und vieles andere zu schärfen.

In Ihrem Börsen-Bestseller „Des klugen Investors Handbuch“ warnen Sie sogar vor den Tagesnachrichten aus der Finanzwelt. 

Elsässer: Tagesaktuell sollte nur handeln, wer Aktienpositionen hat, bei denen eine Hiobsbotschaft eintrifft. Er sollte die Aktie schnellstmöglich verkaufen, sobald das erste Warnzeichen eintrifft, etwa wenn der Generaldirektor trunken am Steuer aufgefunden wurde oder die Lagerhalle abbrennt und nicht versichert ist. Bei den großen Firmenzusammenbrüchen gab es vorher fast immer Warnsignale, die man der Tagespresse entnehmen konnte. Ansonsten gilt es – und das ist eine Methode, die ich von meinem Großvater übernommen habe –, zeitversetzt zu lesen. Er war zeit seines Lebens ein erfolgreicher Aktionär und Langfristinvestor und fuhr zweimal im Jahr mit zwei Koffern zur Kur: in dem einen seine Kleider und der andere war voll mit alten Zeitungen. Dort las er mit oft monatelanger Verspätung alles in Ruhe. So kommt man zu besseren Entscheidungen, als wenn man ständig aufschreckt, wenn alle zum Ausgang rennen. Meist ist es besser, erst dann zu gehen, wenn alle schon durch die Türe sind.

Ist das Gebot des antizyklischen Investierens nur leicht gesagt oder ist es tatsächlich einfach?

Elsässer: Das antizyklische Investieren erfordert ein ungemeines Training des inneren Schweinehunds, weil das Durchhalten einer Strategie – daß man sagt, okay, ich investiere antizyklisch zu tiefen Kursen und ich mache das systematisch, daß man an seinem Konzept festhält, wenn die Kurse wider Erwarten schwanken –, das ist ein ganz, ganz schwerer Weg. Ganz einfach, weil jeder von fremden Stimmungslagen beeinflußt wird. Denn auch als unabhängiger Investor kann man sich nicht vom Zeitgeschehen abkoppeln. 

Ihr Buch behauptet, man verdiene mit einem „Nein!“ das meiste Geld. Was meinen Sie damit, und wann sollte der willige Investor „Ja!“ sagen?

Elsässer: Je mehr sich ein interessierter Sparer in die Thematik des Investierens hineinarbeitet, desto öfter eröffnen sich ihm neue Möglichkeiten aus der wunderbaren Welt der Aktien und Anleihen. Diese Vielfalt ist für uns Deutsche fast erschlagend groß, denn im Ausland kann man in nahezu jeder Branche finanziell einsteigen: von Beerdigungsunternehmen über Sektfabrikanten bis zu Babyware. Dabei bricht ständig eine ganze Flut von Firmeninformationen über uns herein: Übernahmen, Abspaltungen, Kapitalerhöhungen, neuer Generaldirektor und vieles mehr. Natürlich wird das angepriesen. Aber hier muß man wegen der Beschränktheit des eigenen Kapitals aufpassen, daß man nicht ständig zugreift, sondern sagen: Nein, ich investiere nur unter ganz bestimmten Kriterien. Der Erfolg meiner vor zwanzig Jahren gegründeten Fonds gründet darin, daß ich nicht investiere, wenn nicht eine Mindestmarge an Umsatz­rendite erwirtschaftet wird. Eine Firma kann noch so schöne Produkte anbieten und noch so glänzend dastehen – wenn nicht genug verdient wird, dann ist das für mich ein „Nein!“. Dann muß ich mich disziplinieren, andere Züge aus dem Bahnhof abfahren zu sehen.

An welche Börsentitel denken Sie da aktuell?

Elsässer: Das sind leider überwiegend deutsche Unternehmen. Hier zeigt sich, daß viel zu viele auf Expansion gesetzt haben, aber letztlich mit einer viel zu geringen Umsatzrendite arbeiten. Das gilt zum Beispiel im ganzen Bereich der Auto­mobilzulieferer. Lange schon vor der Corona-Zeit und auch lange vor der Bedrohung durch das Elektroauto. Eine Gewinnmarge nach Steuern von zwei bis drei Prozent ist einfach zu wenig, um langfristig genug Rücklagen zu bilden, dabei gleichzeitig innovativ zu sein und ein exzellentes Marketing zu betreiben.






Dr. Markus Elsässer managte weltweit unter anderem bei Dow Chemical, Benckiser und die Storck Gruppe.