© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/20 / 06. November 2020

Zufall?
Christian Rudolf

Daß der Sozialismus 1989/91 in Europa nicht untergegangen sei, sondern unter Beibehaltung seiner Ziele bloß grundlegend seine Taktik geändert habe, um ganz im Sinne Lenins eine KP-kontrollierte Weltregierung zu errichten, in der Freiheit, Eigentum und Marktwirtschaft verboten sind, hat der Kommunismusforscher Tor­sten Mann in „Welt­oktober“ zu belegen versucht. Eine steile These? Vielleicht. Nach dem Volkswirtschaftler Thorsten Polleit haben sich zwischenzeitlich alle großen Länder in Europa, Amerika, und Afrika sowie Japan dem „demokratischen Sozialismus“ verschrieben. Staatliche Marktinterventionen sind üblich, nicht erst, aber besonders sichtbar in Corona-Zeiten mit dem verordneten Herunterfahren des Wirtschaftslebens. „Kapitalismus“ hat in der Allgemeinheit einen schlechten Klang, antikapitalistische Einstellungen grassieren in Politik und Kultur. Wenn es Kapitalismus in Reinform geschichtlich gesehen auch noch nicht gegeben hat, so haben bereits dessen realisierte Fragmente einen Produktivitäts-, Wohlstands- und Innovationszuwachs gebracht, der atemberaubend ist. Polleit, der sich auch in seinem neuen Buch wieder als begnadeter Erklärer und streng logischer Denker erweist, zeigt auf, daß das Zerrbild, das von der kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gezeichnet wird, in Wahrheit Kritik an Staat und Sozialismus ist. In zwanzig Kapiteln arbeitet er engagiert und nachvollziehbar heraus, daß anders als der Sozialismus allein der Kapitalismus – das ist Eigentum an Produktionsmitteln, Geld als Tausch- und Rechenmittel, Wettbewerb auf freien Märkten, dadurch Leistungsangebote, die sich auf die Bedürfnisse der Mitmenschen richten – die einzig dauerhaft durchführbare und ethisch einwandfreie Ordnung ist. Speziell empfehlenswert sind die Kapitel über den Zentralbank-Marxismus und den Drang zur Weltwährung sowie die Bedrohung von Freiheit und Eigentum durch das konkurrenzsozialistisch-planwirtschaftliche Modell Chinas, dem in der westlichen Welt kein kategorischer Widerstand entgegengebracht wird, weil diese mittlerweile selbst von dessen Irrtümern durchsetzt ist. Zufall? Vielleicht.

Thorsten Polleit: Der Antikapitalist. Ein Weltverbesserer, der keiner ist, FinanzBuch Verlag, München 2020, gebunden, 320 Seiten, 19,99 Euro