© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

„Amerika kommt mir vor wie Weimar“
Wer hat tatsächlich die Wahl gewonnen? Was steht den USA künftig bevor? Der New Yorker Publizist und Politologe Fred Siegel, ehemals Wahlkampfberater Rudolph Giulianis, hegt Zweifel am Sieg Joe Bidens und sieht die Zukunft des Landes düster
Moritz Schwarz

Herr Professor Siegel, hat Donald Trump Aussicht, die Wahl erfolgreich anzufechten?

Fred Siegel: Das ist nicht klar, denn es hängt davon ab, welche Beweise seine Anwälte präsentieren können.  

Ist er nicht einfach ein schlechter Verlierer, der sich nun verantwortungslos gegenüber seinem Land benimmt?

Siegel: Es gibt doch keinen Zweifel daran, daß bei der Wahl eine Menge Betrug im Spiel war. 

Das sehen Politik und Medien in Deutschland ganz anders. 

Siegel: Was bitte ist denn etwa mit dem nächtlichen Stopp der Stimmzettelauszählung in Michigan, just als der Präsident in Führung lag und sich dem Sieg näherte? Als dann die Auszählung wieder aufgenommen wurde, tauchten auf einmal 138.000 Stimmen zugunsten von Joe Biden auf.

Davon hat man hierzulande, etwa in den öffentlich-rechtlichen Medien, nichts erfahren. Statt dessen immer wieder der Hinweis: „Beweise legte Trump keine vor.“

Siegel: Aber es ist doch bekannt, daß die Biden-Familie tief korrupt ist. Erinnern Sie sich etwa daran, daß Joe Biden, damals Vizepräsident Obamas und für die Ukraine zuständig, zum Beispiel 2014 die Zahlung von US-Unterstützung an Kiew davon abhängig machte, daß der ukrainische Generalstaatsanwalt entlassen wurde. Dieser ermittelte nämlich wegen Korruption gegen den ukrainischen Gasproduzenten Burisma. Und wer saß in dessen Aufsichtsrat? 

Die Medien deuten den Fall bekanntlich anders, so sei der Generalstaatsanwalt etwa entlassen worden, weil er selbst korrupt war. Trump habe den Fall später verdreht, um Biden im Wahlkampf etwas anzuhängen.  

Siegel: Nein, das ist lächerlich, die Beweise sind klar, der Fall eindeutig. Und es wäre nur naheliegend, daß die Bidens die Wahl ebenfalls in der für sie üblichen korrupten Art gewonnen haben. Ich gebe aber zu, noch sind die Belege für einen Wahlbetrug nicht eindeutig.  

Im Internet monieren Kritiker – angeblich seltsame – sprunghafte Stimmzuwächse zugunsten Bidens; von denen Sie eben ja auch schon am Beispiel Michigans gesprochen haben. Verdächtigerweise, so der Vorwurf, seien diese Sprünge zudem nur in sogenannten „Battlegroundstates“, also den Bundesstaaten, auf die es am Ende der Wahl ankam, aufgetreten. Zudem seien angeblich Hunderttausende Stimmzettel von nicht wahlberechtigten oder verstorbenen Wählern aufgetaucht. Es schwirren zig weitere angebliche Fotobeweise durchs Internet, von denen aber völlig unklar ist, ob sie nicht gefälscht sind oder überhaupt das Behauptete zeigen. Kurz, Trumps Wahlbetrugsvorwurf könnte sich bewahrheiten – oder ebenso einfach in Luft auflösen.

Siegel: So ist es, aber eben deshalb fordere ich, daß alles untersucht wird! Wobei zumindest in Pennsylvania die Versuche, die Wahl zu verfälschen eigentlich schon offensichtlich sind. Sagt Ihnen der Begriff „Poll watcher“ etwas? Das sind Wahlbeobachter, die die Auszählung der Stimmen überwachen. Gemäß dem alten Scherz, wonach nicht jene die Wahl entscheiden, die wählen, sondern jene, die die Stimmen zählen. In Pennsylvania wurden die Wahlbeobachter der Republikaner so weit entfernt von den Stimmauszählern gehalten, daß sie nicht sehen konnten, was diese taten. 

Aber vor der Wahl gab es doch genau deshalb einen Gerichtsentscheid, laut dem die Beobachter näher herantreten durften. 

Siegel: Das stimmt, doch wurde er ignoriert. Und jetzt wundern Sie sich bitte nicht über diese Gesetzlosigkeit! Denn es gibt lange schon Formen von Gesetzlosigkeit in US-Städten, vor allem in solchen, die Hochburgen der Demokraten sind, wie etwa Minneapolis und St. Paul, Oakland oder Portland. Bezirksstaatsanwälte – darunter übrigens eine, die von George Soros unterstützt wird – schlagen etwa einfach Strafbefehle nieder, statt sie vollziehen zu lassen. Das ist unglaublich und zerstört das Vertrauen in die amerikanische Rechtsstaatlichkeit.

Deutsche Medien haben kaum über Klagen von Wahlbeobachtern berichtet. Gab es vielleicht nur ganz wenige solcher?

Siegel: Im Gegenteil, es gab viele, es gab sie wiederholt, und sie waren vehement. 

Aber die US-Medien halten die Vorwürfe Trumps doch auch für gegenstandslos. 

Siegel: Die Mainstream-Medien hierzulande haben bestürzenderweise ihre journalistische Unabhängigkeit aufgegeben und sind quasi der Demokratischen Partei beigetreten. Fox-News ist noch teilweise eine Ausnahme, denn dort gibt es noch auch Sendungen mit alternativer Tonlage. Doch insgesamt sucht auch Fox die Harmonie mit den liberalen Eliten. Unsere Medien sind wirklich auf den Hund gekommen. 

Aber Sie haben doch selbst als Gastautor für führende US-Blätter geschrieben.

Siegel: Ja, aber nicht mehr seit diese aufgehört haben, Zeitungen zu sein: Würdige Presseorgane wie die New York Times oder Washington Post, die, wie es sich einer Zeitung geziemt, ihren Lesern über die Welt berichteten, haben sich in politische Organe verwandelt. Ich halte sie schlichtweg für nicht mehr lesbar – das ist mein Ernst. Wollte ich mich etwa wirklich unvoreingenommen über die US-Wahl informieren, mußte ich die britische Daily Mail lesen – so weit sind wir!  

Ist „politische Organe“ nicht übertrieben?

Siegel: Nein, ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die New York Times hat etwa das „Projekt 1619“ ausgerufen. Der Name bezieht sich auf die Ankunft der ersten afrikanischen Sklaven 1619 in der Kolonie Virginia, und die Zeitung formulierte das Ziel so: „Die Geschichte (der USA) neu zu justieren“ – wörtlich: „to reframe“ – „indem die Konsequenzen der Sklaverei und die Verdienste schwarzer Amerikaner ins Zentrum des nationalen Narratives gestellt werden.“ 

Wie verträgt sich das mit dem Selbstverständnis des unabhängigen Journalismus? 

Siegel: Gar nicht, noch dazu ist der ganze Ansatz Mumpitz, denn die Geschichte der Zwangsarbeit begann keineswegs mit schwarzen Sklaven. Es gab sie schon zuvor und traf die Weißen.

Zwangsarbeit ist aber nicht das gleiche wie die Sklaverei. 

Siegel: Das ändert nichts daran, daß die Behauptung, die habe mit der Sklaverei begonnen, Unfug ist. Durch Schulden oder als Strafe konnten Weiße, wie später die Sklaven, aus ihrer englischen Heimat gerissen und ans Ende der Welt, nach Amerika oder Australien, deportiert und jahrelang bei schwerster Zwangsarbeit in Ketten gehalten werden. 

Zurück zum Thema: Mit Ihrem Verdacht unterstellen Sie den Demokraten, sie wären bereit, eine gesamte Präsidentschaftswahl zu fälschen. Geht das nicht zu weit? 

Siegel: Leider nein. Denken Sie etwa daran, daß die Demokraten auch Gewalt und Plünderung etwa in Minneapolis und St. Paul ohne Konsequenzen haben geschehen lassen. In Portland dauerten Krawalle und Randale durch „Black Lives Matter“ und Antifa gar drei Monate! Du meine Güte, wer hätte sich das je vorstellen können? Die politische Situation in den USA ist heute eine völlig andere als noch vor zehn Jahren. Was wir erleben, ist eine quasi-revolutionäre Situation – wirklich eine Art Kalter Krieg zwischen den Parteien! Es mag lächerlich klingen, aber so wie früher viele darauf achteten, kein Rendezvous mit Menschen einer anderen Rasse zu haben, daten viele heute keine Anhänger der anderen Partei. Ein Date mit einem Trump-Anhänger? Unmöglich! Sehen Sie, ich bin selbst ein widerwilliger Trump-Wähler ...

Weshalb „widerwillig“?

Siegel: Nun, ich begrüße zwar auch einiges an Trumps Politik, etwa seinen klaren Kurs gegenüber China, oder daß er euch Deutschen zeigt, daß ihr nicht auf Dauer weniger als vereinbart in Rüstung investieren könnt. Doch eigentlich habe ich Trump nur gewählt, um zu verhindern, daß diese komplett korrupte Biden-Familie sich des Weißen Hauses bemächtigt. Aber ich wollte eben etwas schildern, als Sie mich unterbrochen haben, nämlich welcher Abgrund die USA inzwischen durchzieht. So kann ich etwa nicht offen sagen, daß ich widerwillig Trump wähle. Weil die Leute dann ausrasten, sie schreien mich an, verlieren völlig die Kontrolle – es ist unfaßbar. Amerika kommt mir vor wie Weimar. Und es ist kein Zufall, daß einer der Theoretiker der Weimarer Zeit nun immer wieder bei uns zitiert wird: der Staatsrechtler Carl Schmitt, der lehrte, politisch zu handeln heiße, Freund und Feind zu unterscheiden.   

Gäbe es ernsthafte Beweise für systematische Wahlfälschung würden doch auch die Republikaner protestieren, die aber schweigen – einige haben gar Biden gratuliert.   

Siegel: Das überrascht nicht, da ein großer Teil des Parteiestablishments, die sogenannten Country-Club-Republikaner,  „Never Trumper“ sind, sie hassen Trump! Der ja in Wirklichkeit auch gar kein Republikaner ist, sondern „Trumpist“.

Systematische Wahlfälschung zu ignorieren bedeutet: lieber verlieren sie und lassen die Demokraten siegen, nur damit Trump nicht gewinnt. Ist das denn glaubhaft?

Siegel: Sie müssen verstehen, daß die Republikaner heute die Partei der arbeitenden Mittelschicht sind, die Demokraten dagegen die Partei der Elite und Milliardäre sowie der Sozialhilfeempfänger – eine unglaubliche Entwicklung! 

Das klingt allerdings widersprüchlich.

Siegel: Das Modell hat John Lindsay, von 1966 bis 1973 Bürgermeister von New York, geschaffen: die „Top-Bottom-Coalition“, also die „Oben-Unten-Koalition“ aus Elite und Unterschicht. Ihr Ziel: die Mittelschicht zu zerstören, etwa indem sie deren Geld an die sozial Schwachen umverteilen. Der bekannte New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani wurde 1994 noch von der Mittelschicht ins Amt gewählt. Heute gibt es diese in New York kaum noch. Sie hat nicht ganz, aber zum großen Teil die Stadt verlassen. Dabei ist es die Mittelschicht, auf der die amerikanische Demokratie einst gegründet wurde! Und die Demokraten, die also die Feinde der Mittelklasse vertreten, wozu ich etwa auch Unternehmen wie Amazon zähle, haben dank der Elite enorme Geldquellen für ihre Wahlkämpfe.    

Wie also sehen Sie die Zukunft der USA? 

Siegel: Ich habe keine Glaskugel. Aber angenommen, die Fälschungen sollten sich als irrelevant erweisen, wird die Hälfte der Wähler Biden dennoch nicht als legitimen Präsidenten anerkennen. So etwas ist schlimm für unser politisches System. Wenn Biden schlau ist, dann wird er den Ball flach halten und nicht mit linken Großinitiativen die Hälfte, die ihn ablehnt, provozieren. Die Politisierung des Alltags wird weitergehen: Die meisten Bürger führen kein politisches Leben. Sie sehen vielleicht mal Nachrichten und lesen eine Schlagzeile, aber sonst kümmern sie sich um ihre Belange. Die Political Correctness aber dringt immer weiter in den Alltag ein und war ein Grund für den Sieg Trumps 2016, als viele Bürger so ihren Haß auf diese zum Ausdruck brachten. Für ein großes Problem halte ich zudem, daß mit den Demokraten künftig jemand das Land regiert, der es nicht liebt. 

Wie ist es dazu eigentlich gekommen, denn früher galten alle Amerikaner als Patrioten?

Siegel: In den letzten 25 Jahren ist unser Bildungssystem kollabiert: Schulen und Hochschulen sind nicht mehr, was sie waren, Stätten der Bildung – sondern Horte politischer Propaganda. Natürlich trifft das nicht auf alle Schulen zu, aber auf viele: Heute lernen unsere Zehnjährigen, daß sich die USA durch das Verbrechen der Sklaverei definieren. Dazu paßt, daß sich dem erwähnten „Projekt 1619“ vielen Schulen angeschlossen haben. Dazu gehört auch die Idee, selbst wenn das lächerlich ist, Sinn der amerikanischen Revolution sei gewesen, die Sklaverei zu erhalten! Die Ursache finden wir wohl in den sechziger Jahren, die Ära der Drogen: Das heißt, es ging nicht um die Realität. Und es war die Zeit des Imports des französischen Postmodernismus. Davor war die Grundlage des amerikanischen Liberalismus der Empirismus – also die Idee, Erkenntnis durch Beobachtung und Experiment zu erlangen: Was gültig sein wollte, mußte sich in der Realität bestätigen. Die Lehre des französischen Philosophen Michel Foucault hat das unterminiert und Erkenntnis durch Fühlen ersetzt. Empirismus und Mittelschicht aber gingen zusammen. Um mit ihren Unternehmen zu bestehen, mußte sich die Mittelklasse nach der Realität richten, während Elite und Unterschicht, die einen durch Reichtum, die anderen durch Staatsversorgung, sich davon befreit wähnen. 






Prof. Dr. Fred Siegel, der ehemalige Wahlkampfberater des New Yorker Bürgermeisters Rudolph Giuliani war politischer Gastkommentator führender amerikanischer Zeitungen und Magazine, wie New York Times, Washington Post, Wall Street Journal, The Weekly Standard, The New Republic oder The Atlantic. Der Politologe lehrte an verschiedenen Hochschulen, etwa moderne amerikanische Geschichte an der Universität Paris. Er ist Mitarbeiter der politischen Vierteljahreszeitschrift City Journal sowie Mitglied des Manhattan Institute for Policy Research und des Institute for Advanced Study in Princeton/New Jersey. Er veröffentlichte mehrere Bücher, darunter „The Fate of America’s Big Cities“ (1997), das sich auf der Liste der 100 wichtigsten Bücher über die USA im 20. Jahrhundert plazieren konnte. Geboren wurde er 1945 in New York.

Foto: Präsident Donald Trump, erklärter Wahlsieger Joe Biden (Montage): „Es wäre nur naheliegend, daß die Biden-Familie die Präsidentschaftswahl ebenfalls durch die für sie übliche korrupte Art und Weise gewonnen hat. Ich gebe aber zu, die Belege für einen Wahlbetrug sind nicht eindeutig. Eben deshalb fordere ich, daß alles untersucht wird“  


weitere Interview-Partner der JF