© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

„Wir haben Spanien schon verändert“
Hermann Tertsch, Vertreter der Vox-Partei im EU-Parlament: Eine Reform der EU ist dringend nötig
Curd-Torsten Weick

Sehr geehrter Herr Tertsch, Sie waren Korrespondent der renommierten spanischen Tageszeitung „El País“, politischer Analytiker, Kritiker und Kolumnist unter anderem bei der Zeitung ABC. Im April 2019 gaben Sie bekannt, daß Sie bei der EU-Wahl für die Vox-Partei kandidieren. Wie kam es dazu?

Hermann Leopoldo Tertsch del Valle-Lersundi: Damals kam mein guter Freund Santiago Abascal, Vorsitzender von Vox, zu mir. Er wußte, daß ich  Interesse daran hatte, eine richtige konservative Partei aufzubauen, die dem ständigen Linksruck und den totalitären Tendenzen im sozialdemokratischen Konsens, in dem mittlerweile alle anderen Parteien die gleiche Melodie in verschiedenen Variationen spielen, die Stirn bietet. Er bot mir einen Platz auf der EU-Liste an und ich dachte: Warum nicht?

Deutsche Medien betiteln die Vox unisono als „rechtsextrem“. Ihre Meinung?

Tertsch: Die Vorwürfe der Medien ermüden nicht nur uns, sondern zunehmend auch andere europäische Völker. Alles was den Medien nicht paßt, ist rechtsextrem, faschistisch oder nazihaft. Nicht die Parteien, seien sie mehr oder weniger konservativ oder rechts, sondern die Medien haben ein Problem. Sie sind Teil eines Nachkriegskonsenses, der seit den sechziger Jahren ununterbrochen nach links rückt. Aus den Universitäten kommen nur noch halbgebildete arrogante linke Missionare, die keinen Journalismus mehr betreiben, sondern die Doktrin der Frankfurter Schule umsetzen und dabei eine moralische Überheblichkeit an den Tag legen, die nicht mehr auszuhalten ist. Gerade die deutsche Einstimmigkeit in den Medien finde ich grauenhaft und erschreckend. Ich habe schon als Kind Spiegel, FAZ, die Presse aus Wien, Handelsblatt und Neue Zürcher Zeitung gelesen. Heute ist nur noch die NZZ lesbar.

Pedro Sánchez, Chef der Partido Socialista Obrero Español (PSOE), führt seit Januar 2020 eine linke Koalitionsregierung an. Hat sie sich bewährt?

Tertsch: Die linke Regierung baut auf der großen Lüge von Sánchez auf, der sich den ganzen Wahlkampf darauf konzentriert hatte, die Kommunisten von Podemos zu bekämpfen und dem spanischen Volk mit aller Eindringlichkeit und Vehemenz zu versprechen, daß er niemals mit den totalitären „Zöglingen der venezolanischen Diktatur“ regieren würde. Keine 24 Stunden nach der Wahl schmiedete er eine Regierungskoalition mit Pablo Iglesias. Nun leiden die Spanier unter einer kollabierenden Wirtschaft und einer kolossalen Jugendarbeitslosigkeit. Dazu kommt, daß die Mittelklasse mehr und mehr verarmt.

In Andalusien wird das Regierungsbündnis, bestehend aus der konservativ-liberalen Partido Popular (PP) und liberaler Ciudadanos, von Vox gestützt. Eine fruchtbare Zusammenarbeit?

Tertsch: Die autonomen Regierungen von Andalusien, aber auch Madrid und Murcia, können nur dank der Unterstützung der Vox arbeiten. Doch die Gehässigkeiten gegen Vox aus Richtung PP und Ciudadanos werden immer heftiger. Der Druck der Volksfront, die beiden Parteien vorwirft, sie seien aufgrund ihrer Beziehungen zu Vox selbst faschistoid, ist groß. Trotzdem kann man sagen, daß Vox Spanien schon verändert hat. Dank Vox wurden die Sozialisten in Andalusien nach 40 Jahren an der Macht vertrieben. Und Madrid bleibt dank Vox in rechtsliberalen Händen.

Sie sind erstmals im EU-Parlament. Mit welchen Vorstellungen sind Sie nach Brüssel gekommen? Haben sich diese bewahrheitet?

Tertsch: Ich habe die Europapolitik schon in den achtziger Jahren intensiv verfolgt. Schon als Bonner Korrespondent war ich oft in Brüssel, und auch in den nachfolgenden Jahrzehnten habe ich ständig mit der EU-Politik Kontakt gehabt. Es war kompliziert. Vieles ging wahrscheinlich schon damals in die falsche Richtung. Heute ist die Europäische Union von innen her betrachtet eine Zumutung. Wenn die Bürger wirklich wüßten, wie dort mit ihren Steuergeldern umgegangen wird, wieviel ideologischer Schwachsinn dort Entscheidungen in Gang bringt, die letztlich die legitimen Interessen großer Bevölkerungsgruppen verletzen, dann würden sie den Kopf schütteln. Die linke ideologische Dampfwalze rollt ohne Pause über Rechte, Interessen, Besitz, Arbeitsplätze und die Freiheit der Europäer. 

Zusammen mit der polnischen Regierungspartei PiS, Fratelli d’Italia, den Schwedendemokraten und anderen ist Vox Mitglied der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer und nicht der Fraktion Identität und Demokratie (ID), mit Vlaams Belang, AfD, Rassemblement National, Lega oder FPÖ. Was gab den Ausschlag? Wo sind die Unterschiede?

Tertsch: Ich habe ständig Kontakt zu allen diesen Parteien, ausgenommen mit den flämischen Separatisten aufgrund ihrer Unterstützung für katalanische separatistische Verbrecher. Es gibt höchst interessante Leute in allen diesen Parteien. Daß wir bei den ECR und nicht bei ID eingestiegen sind, wurde nach längeren Abwägungen entschieden. Wir halten zum Beispiel nichts von allzu großer Nähe oder Sympathie für Putin und sein Machtsystem in Rußland. Wir sind eine entschieden atlantisch ausgerichtete Partei. Aber wir arbeiten auf jeden Fall immer mit dem Blick auf eine Einigkeit aller rechtskonservativen Kräfte auf klarer demokratischer und fest antitotalitärer Basis für eine Reform der EU und für die Befreiung unserer Gesellschaften von den Zwängen der Unfreiheit, die sich seit 50 Jahren ständig breitmacht und uns jeden Tag unfreier macht.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen will eine „antirassistische Union“ aufbauen. Ihre Meinung?

Tertsch: Ursula von der Leyen ist nur eine kleine Randfigur in dem riesengroßen Spiel des kulturmarxistischen Dranges nach totaler Hegemonie. Jetzt glaubt man, stark genug zu sein, um jeden Widerstand abzuwürgen. Sie haben es eilig, da die nationalen Widerstände stetig wachsen. Die sozialdemokratische Konsensmaschinerie hat eine totalitäre Berufung, genauso wie die traditionellen Kommunisten. Sie sehen und suchen ein Ende in einer egalitären Hölle.






Hermann Leopoldo Tertsch del Valle-Lersundi, geboren 1958 in Madrid, war 1982 Osteuropakorrespondent der Nachrichtenagentur EFE. Seit 1983 arbeitet er in Bonn als Korrespondent für die Mitte-Links-Zeitung El País. Parallel dazu war er Kommentator bei den Radiosendern Cadena SER, Radio Nacional de España und Onda Cero. Er verließ El País 2007 und wurde politischer Kolumnist für die konservative Zeitung ABC. Er arbeitete bei Telemadrid und wurde 2008 Leiter des Nachrichtenprogramms Diario de la noche.