© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Demokratie? Nein danke
Cambridge-Studie „Jugend und Zufriedenheit mit der Demokratie“: Die Skepsis der Jugend wächst von Generation zu Generation
Josef Hämmerling

Immer weniger Jugendliche sind weltweit mit der Demokratie zufrieden. Dies ist das Ergebnis einer 60seitigen Studie des „Zentrums für die Zukunft der Demokratie“ („Centre for the Future of Democracy“) der Universität Cambridge mit dem Titel „Jugend und Zufriedenheit mit der Demokratie“ („Youth and Satisfaction with Democracy“). In dieser nach Aussage von Studienleiter Roberto Foa bis dato größten Untersuchung ihrer Art seien 43 Quellen aus 160 Ländern mit 4,8 Millionen Antworten von Befragten ausgewertet worden. Insgesamt umfaßt die Studie 2,3 Milliarden Menschen, von denen 1,6 Milliarden, gleich 70 Prozent, mit der Demokratie zunehmend unzufrieden sind. 

Die große Arbeitslosigkeit hinterläßt ihre Spuren 

Als Hauptgrund für diese Unzufriedenheit nannte Foa die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen. So würden zum Beispiel in den USA die zwischen 1981 und 1996 Geborenen (Millennials) nur drei Prozent des Gesamtreichtums halten, während es bei den Jahrgängen Ende 1944 bis 1964, den sogenannten Baby-Boomern, im gleichen Alter noch 21 Prozent sind. 

Vier Ergebnisse sind besonders interessant: In den angelsächsischen Ländern nahm die Skepsis gegenüber der Demokratie nach Angaben Foas seit den 1944 Geborenen von Generation zu Generation zu. Das gelte besonders für die USA und für Australien. Auch in Großbritannien nahm die Skepsis immer weiter zu, wenn auch nicht so stark wie in den beiden vorgenannten Staaten. Weniger stark ausgeprägt sei die Ablehnungsquote in Kanada und Neuseeland. 

Ganz anders sieht es in Osteuropa aus. Dort steige die Zustimmung zwar von Generation zu Generation, bleibe insgesamt allerdings auf einem niedrigen Niveau. In Nordostasien, also Japan, Taiwan und Südkorea, sei die Zustimmungsquote über Jahrzehnte nahezu unverändert hoch. In Europa stellten die Wissenschaftler bei den Staaten, die sich um einen Eintritt in die Europäische Union bemühten, fest, daß die Jugendlichen während dieser Zeit eine positive Meinung zur Demokratie hatten. Waren diese Länder dann aber Mitglied der EU, drehte sich diese Meinung über die Jahre  hinweg wieder ins Gegenteil.

Besonders auch die hohen Arbeitslosenquoten bei Jugendlichen hätten weltweit zu der zunehmenden ablehnenden Haltungung geführt. „Das ist die erste Generation seit Menschengedenken, in der es eine globale Mehrheit von Leuten gibt, die unzufrieden mit der Art und Weise sind, wie Demokratie funktioniert“, so Foa. Als besonders gefährlich sieht der Wissenschaftler den Umstand, daß diese Unzufriedenheit stärker steigt, als es jemals in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. Doch auch da gibt es regionale Unterschiede. So sank die Zustimmungsquote aller Millennials zur Demokratie durchschnittlich von 50 auf 45 Prozent, während es in den angelsächsischen Ländern einen 15-Prozent-Punkte-Rutsch gab. Auffällig ist, daß die Zustimmung zur Demokratie auch in den lateinamerikanischen und den Ländern Subsahara-Afrikas sinkt. Grund ist Foa zufolge, daß die Jugend nicht die vorherigen undemokratischen Regime und den harten Kampf zur Erlangung der Demokratie miterlebt habe, jetzt aber dafür die Korruption und inkompetente Regierungen.

Allerdings gibt es der Studie zufolge auch einige wenige Regionen, in de-nen die Demokratie bei der Jugend auf größere Zustimmung trifft als in der Vergangenheit, so etwa in den früheren kommunistisch geführten Ländern in Zentral- und Osteuropa, Teilen Asiens – und in Deutschland. 

Andersdenkende werden nicht mehr respektiert

Die Gründe hierfür sind: gute Chancen für Jugendliche, einen Arbeitsplatz zu finden, weniger Schulden zu haben, bezahlbaren Wohnraum zu bekommen sowie weniger Korruption und Diskriminierung bei Polizei und im öffentlichen Dienst. In diesen Ländern sei die „Zufriedenheit der Jugendlichen mit der Demokratie nach wie vor überwältigend hoch“. So würden Jugendliche in Deutschland, Island und Taiwan „die politischen Institutionen auf hohem Niveau begrüßen“. Dagegen führt die Zunahme der Jugendarbeitslosigkeit in Ländern, die von der Krise in der Eurozone betroffen sind, sowie die „Ausgrenzung von Vermögenswerten“ in Großbritannien und den Vereinigten Staaten ebenso wie das Fortbestehen von Korruption und Armut in den neuen Demokratien in Lateinamerika und Subsahara-Afrika zu immer mehr Ablehnung der Demokratie. Das wiederum führt nach Angaben Foas zu einer um 16 Prozentpunkte gestiegenen Hinwendung der 18- bis 34jährigen zu „populistischen linken und rechten“ Parteien.

Foa sprach eine klare Warnung aus: Man könne nicht weiter riskieren, die Gesellschaft nur zum Wohle der reichen und alten Bevölkerungsteile weiterzuführen und zu hoffen, daß der Rest der Gesellschaft und vor allem die jungen Leute auch weiterhin auf dem Boden der Demokratie blieben. Das gelänge nur dann, wenn diese den Eindruck haben würden, die Politik werde zum Wohle der gesamten Gesellschaft betrieben. Das Coronavirus habe diese Ansicht noch weiter unterstrichen und gefestigt. Beachte man diese Warnsignale nicht, drohe der Absturz in eine „demagogische Staatsform“.

Interessant ist der Studie zufolge, daß in Ländern, die „populistische“ Staatschefs gewählt haben, eine Erholung der Einstellung der Jugendlichen mit der Zufriedenheit zur Demokratie zu verzeichnen sei. So sei diese unter den 18- bis 34jährigen um 16 Prozentpunkte gestiegen. Diesen Anstieg gebe es sowohl bei „Links- als auch bei Rechtspopulisten, mit Ausnahme der USA unter Präsident Donald Trump“. 

Wo gemäßigte Politiker einen populistischen Rivalen knapp geschlagen oder abgelöst haben, sei es jedoch zu keinem vergleichbaren Anstieg gekommen. Allerdings seien die längerfristigen Auswirkungen weniger eindeutig. Auch wenn der „Populismus an der Macht“ vorübergehend zu steigenden Zustimmungswerten bei den Jugendlichen  führen kann, zeigen erste Tendenzen, daß sobald „Populisten“ für mehr als zwei Amtszeiten im Amt sind, dies zu einer großen demokratischen Legitimationskrise führen kann. 

Der Studie zufolge waren in den westlichen Ländern nur wenige Jugendliche bereit, Andersdenkende als genauso gut informiert zu betrachten und ihre Ansichten zu respektieren. 

Auf der Nachrichtenseite Twitter Smash wurde die Studie massiv kritisiert. „Das Versäumnis, den Aufstieg der Identitätspolitik und die Kultur des Absagens für diesen Trend verantwortlich zu machen, ist eine krasse Auslassung“, heißt es dort. Nach Ansicht des Autors hängt die Ansicht, ob man die Demokratie akzeptiere, nicht nur von der Einstellung zu wirtschaftlichen Angelegenheiten ab, sondern vor allem von dem Wert, den man der Demokratie beimesse. Dies sehe man sehr gut in den anglo-amerikanischen Ländern, „da in diesen Gesellschaften die kulturellen Werte von Freiheit und Demokratie am stärksten in Frage gestellt“ worden seien.

Der Freiheitsgedanke kommt zu kurz 

 Dies sei schuld „der Identitätspolitik und der Kultur des Absagens“. Vor allem die Identitätspolitik sei der „demokratischen Entscheidungsfindung zutiefst feindlich“ gesinnt und ziehe ihre „unterschiedlichen Identitätsblasen einem öffentlichen Leben vor, an dem die Bürger als Ganzes beteiligt“ seien. 

Der Soziologe Michael Schönhut definiert Identitätspolitik als „Be-mühungen, die Wahrnehmung einer kulturellen Kategorie oder Gruppe bei ihren Mitgliedern zu beeinflussen oder die Wahrnehmung seitens anderer zu steuern“. Also etwa Schwulen- und Lesbengruppen, „Black Lives Matter“, Feministen usw.

Twitter Smash verwies auf eine Umfrage von Harvard Crimson, der Studentenzeitung der Harvard Universität, die vor zwei Jahren veröffentlicht wurde. „Es zeigte sich, daß ein erheblicher Teil des Abschlußjahrgangs 2018 ihre Meinungen selbst zensierte und nicht öffentlich debattierte. Dem Bericht zufolge hatten rund zwei Drittel der befragten Studenten ‘irgendwann beschlossen, in einem akademischen Umfeld keine Meinung zu äußern, aus Angst, daß dies andere beleidigen würde’.“ Die Umfrage ergab ferner, daß 78 Prozent der registrierten Republikaner sagten, sie hätten „Mei-nungen im Unterricht zurückgehalten“, verglichen mit 59 Prozent der registrierten Demokraten und 73 Prozent der registrierten Unabhängigen.

Twitter Smash kritisiert weiter: „Der Grundwert, auf dem die Demokratie gedeiht, ist die Freiheit und insbesondere die Freiheit, eine Meinung zu äußern. Eine der Errungenschaften der Identitätspolitik bestand darin, den Wert der Freiheit, insbesondere unter jungen Menschen, abzuwerten. Die Redefreiheit, die das Lebenselixier der Demokratie ist, wird von Befürwortern der Löschkultur ständig in Frage gestellt. Kein Wunder, daß so viele junge Menschen Demokratie als keine große Sache betrachten.“

Laut Twitter Smash übersieht die Cambridge-Studie vor allem auch den wichtigsten Treiber für die Trennung junger Menschen von der Demokratie. Dieser 60seitige Bericht enthalte nämlich „keinen einzigen Verweis auf Identitätspolitik und liest sich so, als ob ihr  Einfluß auf Bildung und Populärkultur nicht existiert. Sie befaßt sich mit Demokratie als abstrakter Institution und versucht nicht zu verstehen, wie ihre Grundwerte für viele junge Menschen an Attraktivität verloren haben.“

 www.bennettinstitute.cam.ac.uk