© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Ein hübsches Detail des Kulturkampfes um das Abtreibungsrecht in Polen ist der spontane oder organisierte Widerstand, auf den die Demonstrationen der Feministinnen stoßen, wenn sie Kirchen profanieren. Die Bewegung „Schützt Eure Kirche vor Ort!“ wird vor allem von katholischen Laien des nationalkonservativen Spektrums getragen. Aber es kursiert im Netz auch ein Filmchen, in dem eine Gruppe organisierter Fußballfans – die Mitglieder machen keinen besonders frommen Eindruck – Kirchenbesetzerinnen davonjagt. Die Anhänger des Stettiner Vereins Pogon Szczecin haben auf ihrer Netzseite sogar eine Erklärung abgegeben: „Wir nehmen keine Entweihung von Denkmälern, Inschriften oder Kirchen hin.“

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Ich hatte es eigentlich für ausgeschlossen gehalten, aber es gibt sie noch: Reichsfeindlich-Ultramontane.

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Man spürte die Irritation der Moderatorin, die aus Anlaß des 85. Geburtstags von Alain Delon meinte anmerken zu müssen, der habe den Filmpreis „César“ für sein Lebenswerk als Schauspieler erhalten, „trotz seiner rechten Gesinnung“. Der Hinweis bezog sich zweifellos auf Delons skandalisierte Äußerungen zu Einwanderung und Homosexualität, vor allem aber auf seine offene Sympathie für den Front National, die Freundschaft mit Jean-Marie Le Pen und die Unterstützung für dessen Tochter Marine. Aber das ist nur die Oberfläche. Irgendwann wird man die Biographie des „Samurai“ (so der Originaltitel des Filmklassikers „Der eiskalte Engel“ von 1967 mit Delon in der Hauptrolle) unter dem Gesichtspunkt betrachten, was es im 20. Jahrhundert hieß, ein „Anarchist von rechts“ zu sein.

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„Liebe Redakteur*innen, Kolleg*innen und Freund*innen, die Eindrücke der ersten digitalen Frankfurter Buchmesse sind verarbeitet und beim Albino Verlag wenden wir uns wieder den Herausforderungen des Alltags zu. Damit ist in diesem Fall ausnahmsweise mal nicht Corona gemeint, sondern ein anderes Problemfeld, das unsere Gesellschaft nach wie vor beschäftigen sollte: die Situation queerer Flüchtlinge, die aus dem Nahen Osten nach Europa kommen.“ (Rundschreiben des Albino Verlags)

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Käßmann: Christen dürfen Trump nicht wählen. Weißmann: Christen sollten Käßmann nicht zuhören.

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„Bliebe man dabei, daß die Deutschen, die Europäer oder die Weißen für alle schrecklichen Taten der Vergangenheit und alle Unbill der Gegenwart bis in die ferne Zukunft verantwortlich zu zeichnen hätten, dann würde neues Leben durch vergehende Formen von Dasein so sehr belastet werden, daß Ursprüngliches daraus nicht mehr entstehen könnte. (…) Wir sollten deshalb den lauten Aposteln des neuen kollektiven Büßerwahns mit Ruhe und Festigkeit entgegentreten und ihnen sagen, daß sie in diesem Lande und in unserer Zivilisation nichts zu bestellen haben. In Wirklichkeit handelt es sich um selbsternannte Scharfrichter, die ihre moralische Autorität dadurch zu erringen hoffen, daß sie andere für ‘schuldig’ erklären. Es ist an der Zeit, daß wir diesem Spuk auch in unserer veröffentlichten Meinung ein verdientes Ende bereiten. Das Beste wäre, diese modernen Scheinheiligen würden eine Sekte gründen …“ Ulrich Lohmar (1928–1991) in einem Text von 1986. Lohmar, SPD-Mitglied, war von 1952 bis 1955 Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, von 1957 bis 1991 Abgeordneter des Bundestages, außerdem Politikwissenschaftler und Hochschullehrer.

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Sollte tatsächlich jemand Sehnsucht nach den Siebzigern verspüren, empfehle ich einen Aufenthalt in der Innenstadt von Altötting, am besten außerhalb der Saison. Zugegeben: das Bevölkerungsbild hat sich ins Orientalische und Nordafrikanische verschoben, aber trotzdem.

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Die Aufdeckung der manipulativen Berichterstattung über den Einsatz der GSG 9 in Bad Kleinen und die angebliche „Hinrichtung“ des Terroristen Wolfgang Grams hat so wenig Aufmerksamkeit erregt wie die Demontage des Spiegel-Starjournalisten Hans Leyendecker. Die Ursache dafür ist, daß die Ereignisse von 1993 längst historisch sind. Nur die Älteren unter den Gebildeten erinnern sich noch der wissenden Mienen, mit denen sonst harmlos wirkende Zeitgenossen beim Partygespräch in der frisch renovierten Altbauwohnung, vor weißen Wänden, unter Stuckdecken, über „Staatsmord“ raunten. Es waren in der Regel dieselben, die schon geglaubt hatten, daß man „die Ulrike“ und „den Andreas“ in der Haft liquidiert habe und die die Kronzeugenregelung für RAF-Aussteiger als sittenwidrig betrachteten.

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Um es kurz zu machen: die Niederlage Trumps hinterläßt bei mir kein anhaltendes Bedauern. Zwei Gründe: Ich habe gelernt, Menschen mit Skepsis zu begegnen, denen es an Manieren fehlt; Trump war ein Symptom der Krise, nicht der Mann, sie zu bewältigen.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 27. November in der JF-Ausgabe 49/20.