© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

„Wir Sachsen wurden bestohlen“
Juwelenraub: Auch ein Jahr nach dem Einbruch ins Dresdner Grüne Gewölbe gibt es keine Spur von den verschwundenen Schmuckstücken
Paul Leonhard

Es glitzert und blinkt. Gold und Edelsteine, wohin man auch blickt. Die Schatzkammer August des Starken, das sogenannte Grüne Gewölbe, im Dresdner Residenzschloß ist ein Magnet für Besucher aus der ganzen Welt. Angelegt zwischen 1723 und 1730 gilt es als Höhepunkt der Repräsentation eines Herrschers im 18. Jahrhundert und als eine Sammlung, die es in ihrer Unversehrtheit kein zweites Mal gibt.

Daß sich von dieser aber nicht nur Kunstinteressierte angezogen fühlen, sondern auch Kriminelle, daran erinnert seit einem Jahr eine leere Vitrine. Bei einem in der Geschichte der Staatlichen Kunstsammlungen bisher einzigartigen Einbruch verschwanden am Morgen des 25. Novembers 2019, kurz vor fünf Uhr, elf komplette und etwa ein Dutzend Teile unbezahlbarer Schmuckstücke mit Diamanten und Brillanten.

Der Schock über den Einbruch war so groß, daß noch heute Dirk Syndram (65), Direktor des Grünen Gewölbes, lieber aufzählt, was die Einbrecher nicht an sich raffen konnten: „Wir haben die Perlen der Königin, die Gott sei Dank unversehrt geblieben sind, und den Brillantschmuck der Königin, der immer noch strahlt. Wir haben die Teile der Diamantrautengarnitur auf einem eigenen Tableau und sehr, sehr vieles aus der Brillantgarnitur.“

Diese Aufzählung des Kunsthistorikers, der dem Grünen Gewölbe seit 1993 vorsteht, ist nur zu verstehen, wenn man die ersten Meldungen nach dem Bekanntwerden des Einbruchs kennt. Da hieß es, die Vitrinen seien komplett ausgeräumt. Als dann bekannt wurde, daß nur eine einzige Vitrine betroffen ist und auch diese nicht komplett leer, lautete der merkwürdige Jubelschrei aus dem schockierten Dresden: „Weniger Juwelen gestohlen als befürchtet.“

Belohnung von 500.000 Euro

Und auch aus der einen Vitrine mit drei Garnituren seien „noch relativ viele Werke verblieben“, teilte Marion Ackermann (55), Kunsthistorikerin und Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, mit: „Die Täter konnten nicht alles mitnehmen, weil alle Objekte auch einzeln befestigt waren, sie waren mit Stichen vernäht mit dem Untergrund.“

Daß das alles ein wenig so klang, als wäre alles nicht so schlimm und man könnte aus dem schier unendlichen Fundus der Kunstsammlungen einfach etwas Neues wählen und ausstellen, hängt damit zusammen, daß die Dresdner Museumsdirektoren, allesamt aus Westdeutschland stammend, bisher davon überzeugt waren, über eines der „sichersten Museen der Welt“, so Syndram, zu verfügen. Er habe fest daran geglaubt, daß die getroffenen Schutzmaßnahmen „Einbruchsversuche wenigstens so lange verzögern, bis die Polizei da ist“, so der Direktor des Grünen Gewölbes wenige Stunden nach der Tat. In der rauhen Wirklichkeit hatten weder die Sicherheitsverglasung der Fenster noch die Gitter die Kriminellen aufhalten können. In wenigen Minuten brachen sie mit einer Axt eine Vitrine auf und rafften alles an sich. Ein Überwachungsvideo zeichnete zwei Täter mit Taschenlampen auf.

Diese sahen auch die beiden Sicherheitsleute auf ihren Bildschirmen. Sie entschieden aber, nicht persönlich einzugreifen, sondern lediglich die Polizei zu informieren. Die war zwar fünf Minuten später mit Einsatzwagen vor dem Schloß, doch zu spät. Die Einbrecher waren mit ihrer Beute längst verschwunden. Ihre Spuren in der Schatzkammer hatten sie professionell mit dem Pulver eines Feuerlöschers verwischt. Später wurde ihr Fluchtwagen, ein Audi A6 Avant, ausgebrannt in einer Dresdner Tiefgarage gefunden. Und die Polizei vertritt die These, daß beim Einbruch hydraulisches Hebel- und Spreizwerkzeug verwendet wurde, das zuvor bei einer Erlanger Firma entwendet worden war.

Verschwunden sind seitdem elf Objekte, Teile zweier weiterer Stücke und mehrere diamantbesetzte Rockknöpfe. Die Kunstsammlungen listen auf ihrer Internetseite die Verluste exakt mit Fotos auf: die zum Schmuck der Königinnen gehörende diamantbesetzte Aigrette für das Haar in Sonnenform, Teile eines Brillantkolliers der Königin Amalie Auguste, eine große Brustschleife, das Teilstück eines Muffhakens, aus der Diamantrosengarnitur das Teilstück einer Epaulette, eine Hutagraffe, ein Degen, ein Kleinod des Polnischen Weißen Adler-Ordens, zwei gewölbte Schuhschnallen, eine große Diamantrose, mehrere diamantbesetzte Rockknöpfe sowie aus der Brillantgarnitur ein Bruststern des Polnischen Weißen Adler-Ordens, ein Hutschmuck (Reiherstutz), eine Epaulette mit dem „Sächsischen Weißen“.

Die beiden Herrengarnituren Augusts des Starken vom Ende des 17. beziehungsweise Anfang des 18. Jahrhunderts hätten damals zu dem Kostbarsten gehört, was es gab, erzählt Syndram. 1719 hätte eine Juwelengarnitur einen Wert von 1,7 Millionen Talern, also 17 Tonnen Gold gehabt. Die Brillantgarnitur war 1,4 Millionen Taler wert.

Und heute? Der Wert der Juwelen könne nicht beziffert werden, heißt es seitens der Kunstsammlungen. Die Stücke seien einmalig und auf dem Kunstmarkt unverkäuflich. Allerdings sei der ideelle Schaden aufgrund der Einzigartigkeit der Stücke immens. Und der Diebstahl war auch für die kunstverliebten Dresdner ein Schock: „Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen“, drückte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) aus, was viele dachten, als sie vom Anschlag auf den Staatsschatz hörten.

Die ausgeschriebene Belohnung für Hinweise, die zur Ermittlung der Täter oder zum Auffinden des Diebesgutes führen, beträgt 500.000 Euro. Aber auch diese Summe scheint den Ermittlungen der mit 45 Kriminalisten besetzten Sonderkommission „Epaulette“ der Polizeidirektion Dresden nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die bislang letzte Nachricht stammt von Anfang September, als sächsische und Dresdner Beamte gemeinsam ein Internetcafé im Stadtteil Berlin-Neukölln und eine Privatwohnung durchsuchten. Es ging um die Sicherstellung von Beweismitteln bei einem selbst nicht tatverdächtigen Mann, der den Einbrechern Sim-Karten verkauft haben soll, mit denen diese während ihrer Tat kommunizierten.

 https://gruenes-gewoelbe.skd.museum/