© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Zwei Sekunden Metall auf Metall
Musikgeschichte: Die deutsche Band Kraftwerk und ihr Einfluß auf den Hip-Hop
Gil Barkei

Daß die vor fünfzig Jahren ins Leben gerufene Düsseldorfer Band Kraftwerk als Techno-Pioniere und „Beatles der elektronischen Tanzmusik“ (New York Times) gelten, ist mittlerweile weitläufig bekannt. Die Gründer Ralf Hütter und Florian Schneider prägten mit ihrem „Krautrock“ der Anfangszeit und dem späteren Elektropop aber noch ein weiteres Genre, das viele wahrscheinlich eher weniger mit den Klangtüftlern in Verbindung bringen: HipHop.

Einer der ersten DJs aus der Entstehungsphase des HipHops in New York, Afrika Bambaataa, nutzte Sequenzen aus den Kraftwerk-Liedern „Trans Europa Express“ (1977) und „Nummern“ (1981) für seinen Erfolgshit „Planet Rock“ (1982). Mit seiner experimentellen Mischung aus Funk, Soul, Rock, Punk und dem deutschen Sound legte er einen Rhythmusgrundstein für Rap und Breakdance. 

„Ich stand total auf den Techno-Pop-Sound von Yellow Magic Orchestra und Kraftwerk. Ich wollte auch elektronische Instrumente, so wie sie das machten“, erzählt er in der Dokureihe „HipHop Evolution“. Die Effekte seiner eingesetzten Drumcomputer und Synthesizer erinnern tatsächlich an die elektromechanische Hammond-Orgel aus Kraftwerks Kling-Klang-Studio und an den Vocoder, der – eigentlich aus der militärischen Nutzung zur Funkverschlüsselung kommend – Gesangs- und Sprechsignale in orgel- und streicherartige Geräusche verwandelte.

Als Partyorganisator, früheres Bandenmitglied und Gründer der gegen Ganggewalt ins Leben gerufenen Künstlerorganisation „Universal Zulu Nation“ verhalf Bambaataa der neuen Subkultur zu einer größeren Verbreitung und inspirierte andere Musiker. 

Rechtsstreit bis zum Europäischen Gerichtshof

Einer, der die neuartigen Ansätze aufgriff, ist der Mitbegründer des Gangsterraps und Eastcost-HipHops, Dr. Dre. Immer noch begeistert spielt der heutige milliardenschwere Musikproduzent den Kraftwerk-Titel „Metall auf Metall“ (1977) ab, um den Machern der autobiographischen Netflix-Serie „The Defiant Ones“ zu zeigen, wer ihn alles beeinflußt hat. Mit seinen Mixes der verschiedensten Stile prägt er bis heute das sogenannte „Sampling“, bei dem Teile älterer Musikaufnahmen für neue Beats und Melodien neu vertont werden.

So bediente sich der US-amerikanische Rapper Jay-Z, Künstlername von Shawn Corey Carter, 2003 für „(Always Be My) Sunshine“ am Kraftwerk-Stück „Die Mensch-Maschine“ (1978). Zum Streit führt die Mixtechnik seit 23 Jahren mit dem Frankfurter Hiphopper und Produzenten Moses Pelham. Der hatte für das Lied „Nur mir“ (1997) mit der Rapperin Sabrina Setlur einen zweisekündigen Ausschnitt aus „Metall auf Metall“ kopiert, ohne Kraftwerk zu fragen. Die Band klagte daraufhin. Über mehrere Instanzen wanderte der Fall 2019 bis zum Europäischen Gerichtshof: Seit 2002 ist nach einer EU-Richtlinie Sampling nur frei erlaubt, wenn das Tonfragment derart verändert wird, daß es im neuen Song nicht mehr wiederzuerkennen ist.

Nach Rücküberweisung muß das womöglich endgültige Urteil nun das Oberlandesgericht Hamburg, das einst eine Urheberrechtsverletzung festgestellt hatte, fällen. So hinterlassen Kraftwerk neben der Musik auch bei der deutschen und europäischen Justiz ihre Spuren.