© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Der Traum von jenseits des Meeres
Der britsche Autor Roger Crowley schildert den Untergang der letzten Festung der Kreuzfahrer in Akkon 1291
Marcel Waschek

Es muß ein respekteinflößender Anblick gewesen sein, den das Kreuzfahrerheer an der ägyptischen Küste am Morgen des 5. Juni 1249 darbot. Den gepanzerten Reitern, an den Flanken geschützt durch Fußvolk, konnten die Ayyubiden, die muslimischen Herrscher über Ägypten und Jerusalem, nichts entgegensetzen. Dies war das letzte Mal, daß ein Kreuzfahrerheer so nah an das Ziel, die Einnahme Jerusalems, herankam. Nur ein Vierteljahr später sollten die Kreuzritter in einem verzweifelten letzten Kampf auf einer schlammigen Nilinsel um ihr Überleben kämpfen. 

Jetzt trat ein Wendepunkt im Kampf um Outremer ein, dem Gebiet jenseits des Meeres, wie die Ländereien der Kreuzfahrerstaaten von den Europäern genannt wurden. Die Kreuzfahrer verloren zusehends den Halt in den Besitzungen, die sie teils seit über hundert Jahren innehatten. Den darauf folgenden dramatischen Ereignissen, die im Fall der Stadt Akkon mündeten, widmet sich das Buch „Der Fall von Akkon“ des Briten Roger Crowley, der bereits zu anderen Ereignissen des östlichen Mittelmeerraumes im Mittelalter schrieb.

Politische Uneinigkeit der Christen untereinander

Wie konnten die uneinigen arabischen Staaten geeint werden und somit eine existentielle Bedrohung für die Kreuzfahrerstaaten darstellen? Anschaulich geht Crowley auf die Bedeutung Akkons für das östliche Mittelmeer als Handelsplatz der italienischen Seefahrerrepubliken und der Muslime, aber auch auf die für den Werdegang der Stadt letztendlich entscheidende geopolitische, militärische sowie religiöse Bedeutung für das Christentum und den Islam ein. 

Die Einigung der Araber unter den Ayyubiden und die folgende Machtübernahme der Mamelukken sowie deren oft rücksichtsloser und mit religiösem Fanatismus erfüllter Eroberungszug führten zum Niedergang der Kreuzfahrerstaaten. Die Verlockung des profitablen Verkaufes von kriegswichtigen Gütern und Kriegssklaven durch christliche Händler an die ägyptischen Herrscher stärkte dabei maßgeblich die Position der Muslime. 

Der politischen Uneinigkeit der meist als Franken bezeichneten Christen untereinander und dem Stadtleben Akkons, das viele auch mit seinen sehr weltlichen Reizen lockte, wird viel Raum eingeräumt. Im verzweifelten Kampf um die isolierte Stadt Akkon entfalten sich manche Heldengeschichten, Einzelschicksale von beispielhaftem Mut, aber auch von Feigheit und Verrat. Das, was die Gier und die Unfähigkeit der einen verursacht, muß der Heldenmut der anderen retten, und wiederum andere müssen das daraus entstandene Leid ertragen.

Crowley versteht es, informativ durch die Geschehnisse zu führen und auch auf den ersten Blick vom Hauptthema des Werkes Abweichendes sinnvoll und interessant in die Darstellung einzufügen. Es gleicht einer griechischen Tragödie: Gestützt auf die Güter, die ihnen von christlichen Händlern verkauft wurden, schiebt sich der muslimische Einflußbereich immer weiter vorwärts und drängt die Christen somit weiter in ihren Besitzungen zurück. 

Ein diszipliniertes und zahlenmäßig überlegenes Militär und der religiöse Eifer, die Christen zu vertreiben, waren der Schlüssel, daß einzelne Festungen und Städte überrannt, die Bewohner getötet oder versklavt werden konnten. Das unausweichliche Ende Akkons wird somit zu einer Frage der Zeit und einem dramatischen Kampf auf Leben und Tod. Die religiös gespeiste Gewalt vieler Muslime bringt das fragile Gleichgewicht der Levante zur Zeit der späten Kreuzfahrerstaaten durcheinander. Christen sind nur so lange als Handelspartner und Wirtschaftsfaktor geduldet, bis die Muslime stark genug sind, sie zu besiegen. Eroberte haben keine Gnade zu erwarten. 

Crowley bietet dem Leser eine Zeitreise zu Ereignissen und Orten, die so fern und doch so nah und wegen der Auseinandersetzung mit dem Islam aktuell erscheinen. Das Buch hat einen akademischen Anspruch, ist jedoch auch für interessierte Laien gut verständlich und anschaulich geschrieben. Der politische Hintergrund der Kreuzfahrerstaaten wird ebenso wie wirtschaftliche Faktoren, mit Ausnahme der italienischen Handelsrepubliken, nur oberflächlich angeschnitten. Der Schwerpunkt des Buches liegt eindeutig auf den militärischen Aspekten. Wer einen tieferen Einblick in die Materie sucht, wird hier fündig, dennoch ist weiterreichende Literatur wie der Klassiker „Geschichte der Kreuzzüge“ von Steven Runciman zu empfehlen.

Roger Crowley: Der Fall von Akkon. Der letzte Kampf um das Heilige Land. Theiss Verlag in der WBG, Darmstadt 2020, gebunden, 304 Seiten, Abbildungen, 28 Euro