© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/20 / 13. November 2020

Den Ausnahmezustand als Regelzustand etablieren
Der Politikwissenschaftler Lothar Fritze beklagt die Totalitarisierung der Poltik im Namen einer Multikulti-Ideologie
Werner Olles

Der französische Philosoph Alain Finkielkraut, Sohn eines Auschwitz-Überlebenden, bezeichnete seinerzeit Kanzlerin Angela Merkels Rechtsbruch der Grenzöffnung samt illegaler Massenzuwanderung als „dumm und selbstmörderisch“. Auch für die Kirchen zeigte er Unverständnis: Papst Franziskus „unterzeichne ohne mit der Wimper zu zucken den Tod Europas, so wie wir es kennen“. Währenddessen findet in Deutschland ein grenzenloser Sozialbetrug angeblicher „Flüchtlinge“ statt, und seit 2015 wurden mehr Bürger von Zuwanderern getötet, als es Mauertote während der SED-Diktatur im kommunistischen Unrechtsstaat DDR gab.

Der Philosoph und Politikwissenschaftler Lothar Fritze, bis 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden, befaßt sich in seinem neuen Werk „Angriff auf den freiheitlichen Staat. Über Macht und ideologische Vorherrschaft“ mit der Totalitarisierung der Demokratie durch die Propaganda der politiko-medialen Eliten, derweil sich die einheimische Bevölkerung in einem Zustand radikal endogener Anästhesie befindet. 

Die „Weltinnenpolitik“ der EU klappt nicht

Dieses Demobilisierungskonzept funktioniert inzwischen so gut wie noch nie in der Geschichte der Deutschen, die damit zum identischen Subjekt-Objekt der Verunsicherung durch Umvolkung in einem abstraktifizierenden Akt der eigenen Aufhebung degradiert werden.

Tatsächlich sind der globalistischen, multikulturellen Ideologe Staaten, Nationen und Traditionen prinzipiell ein Graus und Völker sowieso. Das „friedliche“ Modernisierungsprojekt, welches sich in einer plünderungsökonomischen Aneignung von monetärem Reichtum der „schon länger hier Lebenden“ durch die „neu Hinzugekommenen“ erschöpft, wird zu einem Naturzustand, ähnlich dem von Hobbes im Leviathan beschriebenen: man ist von Fremden umgeben, isoliert, ohne Bindung an eine Gemeinschaft und lebt irgendwie außerhalb der Gesellschaft. Der Weltrettungswahn in der Dekade des Menschenrechtsimperialismus verabschiedet sich in der Konfrontation mit rechtspopulistischen Dissidenten als etablierte Staatsgewalt vom vertrauten Bezugssystem, der Volkssouveränität, um schließlich zur treibenden Kraft der Auflösung des Staatsvolkes zu werden. 

Doch hat der Menschenrechtsimperialismus eine „mission impossible“ zum Programm erhoben. Das emphatisch gemeinte Gefasel von einer neuen Weltordnung war nie etwas anderes, als die Modernisierungsruine einer medial vermittelten Weltöffentlichkeit als tragfähiges Konzept zu verkaufen. Die beschränkte Reichweite – die mittel-osteuropäischen Staaten denken nicht daran, zu Brandherden des Multikulti-Wahns zu werden – ist indes keine Frage mangelnder politischer Entschlossenheit, überfordert aber spätestens seit der Corona-Krise die finanziellen Potenzen der Bundesregierung heillos. Hinzu kommt, daß die „Weltinnenpolitik“ der EU nicht klappt, und so halluziniert sich die politisch-mediale Klasse eine simulative Fortschreibung der kollabierten territorialstaatlichen Ordnung zurecht, deren irres Konstrukt nicht einmal die Menschenrechtshüter vor Ort überzeugt.

Die Grenzen ihrer Allmacht vor Augen, versucht man den Ausnahmezustand als Regelzustand zu etablieren. So wird der Kulturkampf eskalieren, weil er wie Lothar Fritze zu Recht bemerkt, ein Angriff auf den freiheitlichen Staat ist. Das Gegenstück zum Widerstand gegen die Eliten skizzierte Carl Schmitt 1933: „Dadurch daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk.“

Lothar Fritze: Angriff auf den freiheitlichen Staat. Über Macht und ideologische Vorherrschaft. Basilisken-Presse, Marburg an der Lahn 2020, gebunden, 279 Seiten, 24,80 Euro