© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Offenbarung aus Osnabrück
Islamkonferenz: Innenminister Horst Seehofer freut sich auf in Deutschland ausgebildete Imame / Experten befürchten mehr Schein als Sein
Sandro Serafin

Es waren deutliche Worte, mit denen sich Hamed Abdel-Samad in der vergangenen Woche kurz vor einer weiteren Sitzung der seit 2006 tagenden Deutschen Islam Konferenz (DIK) aus dem Gremium zurückzog: „Der Staat biedert sich in dieser Konferenz den Vertretern des politischen Islam an und ignoriert alle Warnungen und Vorschläge der kritischen Stimmen“, schrieb der Islam-Kritiker in einer Erklärung.

Als Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) einige Stunden später die Tagung eröffnete, schien seine Stimmung trotz dieses Frontalangriffs ungetrübt. Der Minister zeigte sich voll des Lobes für die islamischen Dachverbände, betonte deren „konstruktive Haltung“ und sprach von „wichtigen Fortschritten“, die in jüngster Zeit gemacht worden seien. Damit meinte er insbesondere die Frage der Ausbildung von Imamen in Deutschland, die im Mittelpunkt der Videoschalte stand.

Das Thema beschäftigt die DIK schon seit längerem. Bislang stammt der allergrößte Teil der Imame in Deutschland aus anderen Ländern. Der größte Verband, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), etwa rekrutiert seine Prediger überwiegend aus der Türkei. Die Bundesregierung möchte, daß die Anzahl dieser „Import-Imame“ langfristig gegen Null geht. Bereits seit 2010 entstanden zu diesem Zweck mehrere Institute für islamische Theologie an deutschen Universitäten – mit mäßigem Erfolg. Die Moscheegemeinden weisen darauf hin, daß die Absolventen der Studiengänge durch das theoretische Studium noch nicht für die religiöse Praxis ausgebildet seien. Doch daß aus den Uni–Abgängern nur selten Imame werden, hat wohl in erster Linie einen anderen Grund: die fehlende Akzeptanz seitens der Gemeinden. Diese befürchten, „daß eine institutionelle Verwissenschaftlichung des Islam zu dessen Deformierung führen könnte“, wie eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung bereits 2018 festgestellt hatte. 

Auf die Kritik an den ausländischen Imamen reagieren einige Verbände nun, indem sie eigene Ausbildungsstätten einrichten. Im Januar eröffnete die Ditib im nordrhein-westfälischen Dahlem eine Akademie, in der zunächst 22 Gläubige zu „Religionsbeauftragten“ ausgebildet werden sollen. Die Bundesregierung verbucht das Projekt als ihren Erfolg: 2018 hatte Innenstaatssekretär Markus Kerber in Ankara persönlich für entsprechende Veränderungen geworben.

Auch extremistische Organisationen beteiligt

Doch daß sich durch die Standortverlagerung der Ausbildung in die Eifel in der Substanz etwas ändert, ist kaum vorstellbar. Medienberichten zufolge haben die meisten Teilnehmer des Seminars ihr Theologiestudium in der Türkei absolviert. Sollten sie später in einer Ditib-Moschee Anstellung finden, werden auch sie ihr Gehalt vom türkischen Staat beziehen. Im Innenministerium ist man dennoch zuversichtlich, daß innerhalb der Ditib „eine neue, selbstbewußte Generation an Persönlichkeiten“ heranwachse, die nach Autonomie strebe – auch wenn man gleichzeitig betont, daß noch einige Fragen zu klären seien.

Mit besonderem Wohlwollen blickt das Ministerium auch auf ein weiteres Projekt: In Osnabrück haben Theologen und verschiedene Islamverbände ein „Islamkolleg“ ins Leben gerufen, das ab April etwa 30 studierten Theologen eine praktische Islam-Ausbildung in ausschließlich deutscher Sprache zukommen lassen soll. Zunächst gut 800.000 Euro sollen der Ausbildungsstätte aus der Bundeskasse als „Anschubfinanzierung“ zur Verfügung stehen. Nach zehn Monaten und einer „erneuten Prüfung“ soll über eine Weiterförderung entschieden werden, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der JUNGEN FREIHEIT. Hinzu kommen Gelder vom Land Niedersachsen. Ungewiß, ob sich die Einrichtung in Zukunft selbst trägt.

Auf seiner Webseite zeigt sich das Kolleg schwarz, rot und gold. Es sei „selbstbewußt deutsch und islamisch“, meint Seehofer. Die Verantwortlichen des Kollegs sehen in dessen Aufbau nicht unbedingt in erster Linie eine Präventionsmaßnahme gegen Extremismus, sondern einen weiteren Schritt hin zur strukturellen Gleichstellung mit anderen Religionsgemeinschaften. Das Islamkolleg will seinen Studenten auch „solides Grundwissen über gesellschaftliche und politische Zusammenhänge“, etwa die „Toleranzentwicklung“, mit auf den Weg geben.

Doch die Einrichtung wird auch von Organisationen gestützt, die ein zweifelhaftes Verhältnis zu Freiheit und Demokratie haben. Mitgliedsverband ist unter anderem der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Dessen Mitglieds-organisation Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (Atib) wird im jüngsten Verfassungsschutzbericht als Teil der türkischen rechtsextremistischen Grauen Wölfe eingestuft. Im Innenministerium scheint man in der Beteiligung des ZMD am Osnabrücker Ausbildungsprojekt dennoch kein großes Problem zu sehen. Der Zentralrat selbst sei kein Beobachtungsobjekt und „nur einer von fünf islamischen Dachverbänden im Islamkolleg“, so ein Sprecher zur JF. Die Gesamtverantwortung für die Inhalte der Ausbildung liege „beim Vorstand und der wissenschaftlichen Leitung“ der Einrichtung. Der Psychologe und Publizist Ahmad Mansour kritisierte, inhaltliche Fragen kämen dabei grundsätzlich zu kurz. Seehofers Anspruch, einen deutschen Islam zu schaffen, sei bisher nur auf den Ort der Imamausbildung konzentriert gewesen.