© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Ländersache: Sachsen
Man mißtraut einander
Paul Leonhard

In der sächsischen Kenia-Koalition knirscht es gewaltig. Eine besonders kesse Lippe wagen derzeit die Grünen, die von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in die Regierung geholt wurden, weil er weder mit der AfD als zweitstärksten Partei zusammenarbeiten noch ein Minderheitskabinett wagen wollte. 

Dafür muß sich der Regierungschef jetzt vom innenpolitischen Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Valentin Lippmann, „Staatsversagen“ vorwerfen lassen. Die mit der Querdenken-Demonstation verbundenen Ereignisse in Leipzig (JF 47/20) hätten „diese Koalition in eine schwere Vertrauenskrise geführt“. Jetzt liege es „an der CDU, dem Innenminister und dem Ministerpräsidenten, dieses verlorengegangene Vertrauen innerhalb der Koalition, aber vor allem gegenüber dem Rechtsstaat durch wirksame Maßnahmen wiederherzustellen“, meinte Lippmann.

Sechs Stunden lang haben sich die Mitglieder des Innen- und des Rechtsausschusses in einer nichtöffentlichen Sondersitzung ihre unterschiedlichen Ansichten um die Ohren gehauen, ehe dann nach Ansicht des CDU-Innenexperten Rico Anton „die unqualifizierten Rücktrittsforderungen gegenüber Staatsminister Roland Wöller auch aus den Reihen der Koalition“ vom Tisch gewesen seien.

Anton scheint aber nicht richtig zugehört zu haben, denn nicht nur die linke Opposition, auch die Koalitionspartner wollen noch immer den Kopf von Wöller fallen sehen. Besonders übel nehmen sie dem christdemokratischen Innenminister, daß dieser die Verwantwortung auf die Stadt Leipzig und das Oberverwaltungsgericht Bautzen abschiebt. Unter Wahrnehmungsstörungen scheint aber auch Lippmann zu leiden, der mit Blick auf die Querdenken-Demo „Bilder einer teilweisen Kapitulation des Staates vor gewaltbereiten Rechtsextremisten“ beschwört. Oder er verwechselt die Fernsehaufnahmen der linksextremistischen Ausschreitungen von Connewitz mit denen aus dem Stadtzentrum.

Daß die Sachsen-Union bezüglich Demonstrations- und Meinungsfreiheit schon längst auf einer Wellenlänge mit den linken Parteien liegt, wonach nur ihnen genehme Kundgebungen stattfinden dürfen und alle anderen aus zu findenden Gründen zu untersagen sind, zeigen Äußerungen von Innenminister Wöller und dem rechtspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Martin Modschiedler. Sie erklärten, daß die Querdenker-Kundgebung mit mehr als 20.000 Teilnehmern nie hätte beginnen dürfen oder „zumindest schnellstmöglich“ hätte aufgelöst werden müssen. Ministerpräsident Kretschmer hat jetzt gehandelt und kraft seines Amtes die maximale Teilnehmerzahl bei Kundgebungen in seinem Herrschaftsbereich auf 1.000 festgelegt. „Nun wird als Konsequenz das verfassungsmäßig verbriefte Versammlungsrecht beschränkt, um den offensichtlich überforderten Innenminister im Amt zu halten“, faßt Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt seine Sicht auf die jüngsten Ereignisse zusammen. 

Und auch in der größten Oppositionskraft im Parlament sieht man das ähnlich: „Diese Grundrechtseinschränkungen laufen über die vom Regierungskabinett allein beschlossene Corona-Schutzverordnung“, meint der innenpolitische Sprecher der AfD, Sebastian Wippel. Diese Entmachtung des Parlaments sei brandgefährlich.