© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Clans auf dem Vormarsch
BKA-Lagebericht zur Organisierten Kriminalität: Ermittlungserfolge auf der einen, brutal raumgreifendes Verhalten auf der anderen Seite
Martina Meckelein

Dienstag morgen, 6 Uhr. 1.600 Polizisten sowie das SEK stürmen 18 Häuser, Wohnungen, Garagen und Fahrzeuge in Berlin-Kreuzberg und -Neukölln. Eine großangelegte Razzia gegen Clan-Kriminalität. Der Vorwurf: Bandendiebstahl und Brandstiftung. Drei Männer werden am frühen Morgen festgenommen. Nach zweien wird gefahndet. Die Räuber des Schmucks aus dem weltberühmten Grünen Gewölbe in Dresden im November 2019? „Die fünf Tatverdächtigen gehören alle zur Remmo-Familie“, so Oberstaatsanwalt Jürgen Schmidt von der Staatsanwaltschaft Dresden, die die Ermittlungen leitet, zur JF. „Wir haben eine komplexe Spurenlage. Durch die Auswertungen der Kameras am Residenzschloß konnten wir den Tatablauf erkennen, und es gab Spuren an dem zweiten Fluchtfahrzeug, einem Mercedes in Taxi-Optik.“ Erst im Februar wurden Mitglieder dieser Großfamilie wegen des Raubes der zwei Zentner schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum verurteilt. Wegen Einspruchs wurden die Urteile teilweise nicht rechtskräftig.

Doch nicht nur das: Tschetschenen und Araber knüppeln und messern in aller Öffentlichkeit in Berlin aufeinander ein. „Steht Berlin vor einem Bandenkrieg?“ fragt die FAZ. Solche Kriege haben wir schon lange. Vor zwei Jahren wurde Nidal R. am hellichten Tag in der Hauptstadt erschossen. 2007 ermordete eine rivalisierende ’Ndrangheta-Bande sechs Italiener in Duisburg. In Düsseldorf stehen seit dem 26. Oktober 14 mutmaßliche Mitglieder der ’Ndrangheta vor Gericht. Wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche, Drogenhandel. Ein Mammutprozeß mit 91 Verhandlungstagen.

Parallel dazu steigt die Faszination gerade auch unter deutschen Männern für Clan- und Mafia-verherrlichende TV-Produktionen wie „4 Blocks“ (JF 22/17), für Gewalt rechtsradikaler Hooligans, für Rocker, für dumpfe Rapsänger mit Migrationshintergrund und ihre skrupellosen Musikmanager. Streng hierarchische, abgeschottete, patriarchalische Strukturen, die unser Rechtssystem verachten, erhalten immer mehr Anerkennung, werden sogar in Aussehen und Wortwahl kopiert. Das sind die giftigen Zutaten, um den Rechtsstaat zu unterhöhlen.

Das Bundeskriminalamt hat jetzt den neuesten Lagebericht zur Organisierten Kriminalität (OK) veröffentlicht. Selbst am Hellfeld ist erkennbar: Die Fallzahlen steigen. Als Operationsgebiet der internationalen Verbrechersyndikate bleibt Deutschland attraktiv.

Ethnisch abgeschottete,  verschworene Subkulturen

„Im Jahr 2019 ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung der gegen OK-Gruppierungen geführten Ermittlungsverfahren von 535 auf 579 (+8,2 %) zu verzeichnen“, meldete das Bundeskriminalamt am 6. November dieses Jahres. „Der Anstieg ergibt sich durch die erstmalige Beteiligung der Zoll-Dienststellen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) an der Datenerhebung.“ Das heißt: 37 zusätzliche Verfahren. Der Gesamtschaden beträgt rund 803 Millionen Euro, im Jahr zuvor waren es noch 691 Millionen Euro.

Für das, was OK eigentlich ist, gibt es mindestens 23 Definitionen. Die offizielle, erarbeitet von der gemeinsamen Arbeitsgruppe Polizei und Justiz von 1990, auf die sich die Bundesregierung und die Länder 1991 einigten, lautet: „Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in der Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflußnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken. Der Begriff umfaßt nicht Straftaten des Terrorismus.“ Diese Definition ist umstritten. Sie sei ungenau, zu umfangreich, schwer verständlich durch seine Oder-Verknüpfungen, unbrauchbar.

„Organisierte Kriminalität floriert ökonomisch am besten in gut funktionierenden legalen Systemen wirtschaftlichen Austausches“, schreibt Thomas Welskopp von der Uni Bielefeld in seinem Aufsatz „Die im Dunkeln sieht man nicht“. Die OK verkörpere das Prinzip des Netzwerkers par excellence.

Wenn es um OK geht, liegt der Fokus auf der Bundeshauptstadt. In Berlin trafen sich vergangene Woche die Clan-Chefs der verfeindeten Tschetschenen- und Araber-Banden, die sich zuvor auf der Straße zusammengeschlagen hatten, um einen Burgfrieden auszuhandeln. Friedensstifter soll ein Neuköllner Unternehmer gewesen sein. Ein Foto des Stelldicheins der Gangster postete der vermittelnde libanesischstämmige Boxer Manuel Charr. Er schrieb: „Frieden in Berlin Al Hamdullah, es war keine Selbstjustiz, alles in Absprache mit der Polizei und meinem Freund. Wir sollten einander lieben und uns mehr verbinden als zuvor.“

Die Berliner Polizei beeilte sich nicht wirklich, diese Aussage zu dementieren. Später formulierte sie lahm, daß sie keine Absprachen mit Charr geführt beziehungsweise getroffen habe. „Zudem ist es auch nicht bekannt, ob Herr Charr tatsächlich in der von ihm behaupteten Funktion zwischen den Konfliktparteien auftritt oder aufgetreten ist.“ Ein Dementi aus gutem Grund: Denn entgegen der Vermutung in einigen Medien, diese Aussage werde in Polizeikreisen als Friedenszeichen gewertet, kann man das auch als bedingungslose Kapitulation der Polizei lesen. Die Berliner Zeitung formuliert: „Dieses Vorgehen der verfeindeten Gruppen ist kein Einzelfall. Clans versuchen, ihre Konflikte ohne den Rechtsstaat zu lösen und die Polizei draußen zu halten.“

Agieren Rocker und Clan-Familien in ihrem dominanten Auftreten wie Besatzer, verhalten sich Italiener oder Vietnamesen – sie sind genauso brutal – weitaus angepaßter und unauffälliger innerhalb der Gesellschaft, die sie ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Allein das Berliner LKA ermittelte im vergangenen Jahr in 54 Fällen der OK. Autodiebstahl, Drogen-, Schmuggel- und Zolldelikte, Prostitution, Schleusungen – ein bunter Strauß an Schwerstverbrechen. Bei 40 Prozent der Verfahren waren die Tätergruppen Rocker, Tschetschenen und arabische Großfamilien.

„Seit Anfang der neunziger Jahre werden die Clans immer mächtiger“, sagt Sicherheitsexperte Michael Kuhr gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. „Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Das ist einzig ein Verschulden der Regierungen in Deutschland“, meint der Personenschützer und sechsfache Kickboxweltmeister. „Merkel nahm 2015 wieder Migranten ungeprüft auf, machte dieselben Fehler wie die Regierung in den achtziger und neunziger Jahren, und sie wußte das. Wir haben eine supergute Polizei, aber ihr fehlt die Unterstützung der Politik und Justiz.“ Seine Empfehlung: „Kriminelle Ausländer müssen wir jetzt knallhart abschieben und die Clanmitglieder mit deutscher Staatsangehörigkeit rigoros festnehmen und hart verurteilen. Denn nur davor haben die Angst.“





Die Täter: Ein Überblick

Italienische OK

Mafia oder Cosa Nostra, Camorra, ’Ndrangheta, Sacra Corona Unita sind die Namen der einzelnen OK-Vereinigungen, die erst Italien zersetzten, seit über 100 Jahren allerdings auch international agieren. 6.000 Mitglieder und strenge Hierarchie machen die Cosa Nostra aus Sizilien aus. Die Camorra aus Neapel besteht aus ca. 100 Familienclans, hat ebenso etwa 6.000 Mitglieder. Die ’Ndrangetha aus Kalabrien ist die zur Zeit gefährlichste Organisation, sie besteht aus 220 gleichberechtigten Familien mit etwa 8.000 Mitgliedern. Sie sitzen in Erfurt und Leipzig, mit Dependancen in Baden-Württemberg. Spezialisiert sind sie auf Drogenhandel. Gelder werden über Restaurants gewaschen. Die apulische Sacra Corona Unita wurde durch die vorgenannten Organisationen 1981 gegründet. Ihre cirka 95 Clans zählen knapp 2.000 Mitglieder und haben ihre Wurzeln im Schmuggel.

Russisch-Eurasische OK

Die OK-Strukturen, die in der Sowjetunion unter dem Schutzschirm („Kryscha“) des KGB operierten, blieben nach der Auflösung der UdSSR erhalten. Die Russenmafia fällt durch enorm hohe Brutalität auf. Die Serienkiller sind oft Ex-Soldaten der Roten Armee. Sie morden zumeist in Deutschlands Osten: Der Mord am Bordellbetreiber Altan Yapici in Erfurt 1995 geht auf ihr Konto. Im Zuge der Ermittlungen mußten der LKA-Präsident und sein Vize den Hut nehmen. Die russische Mafia kaufte zu Beginn der neunziger Jahre ganze Straßenzüge in Berlin auf – Geldwäsche aus Waffen-, Drogen- und Menschenhandel. In jüngster Zeit fallen hier die Nachtwölfe, ein nationalistisch-russischer Biker-Clan, auf. Die Bild-Zeitung taufte sie „Putins Rocker“. Der Gründer, Alexander Saldostanow, hat laut niedersächsischer Landesregierung (2017) enge Kontakte zum russischen Präsidenten und bewundert Stalin. 5.000 „Nachtwölfe“ soll es weltweit geben, viele leben auch in Deutschland – Rußlands fünfte Kolonne.

Rockermafia

Laut BKA sind diese Gruppen streng hierarchisch aufgebaut, Mitglieder werden aus dem persönlichen Umfeld rekrutiert. Zusammengehörigkeit wird durch Uniformen, Kutten, Orden und Abzeichen demonstriert. Karlsruhe bestätigte im August 2020 das Kuttenverbot von 2017. Die Mitglieder unterwerfen sich strengen Regeln und drakonischen Strafen. Waren die Clubs früher Ausländern verwehrt, bilden heute Türken, Usbeken und Ukrainer eigene Gruppen. Polizeilich relevant sind sogenannte Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG). In Deutschland sind das: Hells Angels Motorcycle Club, Bandidos MC, Outlaws MC, Gremium MC, Osmanen Germania BC oder auch die Guerilla Nation. Geld machen sie mit Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, durch Prostitution, Sicherheitsgewerbe und mit Tattoo- und Shi­shaläden. In Hagen begann am 22. Oktober gegen fünf Bandidos vor dem Landgericht ein Strafprozeß. Vorwürfe: Versuchter Mord, illegaler Waffenhandel, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung. 22 Clubs wurden laut BKA von 1983 bis 2015 verboten.

Clans

Remmo-Clan, Miri-Clan, Al-Zein-Clan, Abou-Chaker-Clan, Osmani-Clan: Das BKA versteht darunter „kriminelle Mitglieder ethnisch abgeschotteter Subkulturen“. Dabei ist der Islam der gemeinsame Kitt dieser Banden. Die Mitglieder stammen aus der Türkei, dem Libanon, aus Syrien oder aus Albanien. Die Tatverdächtigen deutscher Staatsangehörigkeit aus dem Clanmilieu wiesen „eine entsprechende ethnische Herkunft auf“. Im Fall der Tschetschenen, die erst vor wenigen Jahren in den Fokus der Ermittler geraten sind, ist unklar, wie viele sich in Deutschland aufhalten. Sie werden als russische Staatsbürger geführt. Das Bundesamt für Migration schätzt ihre Zahl auf 40.000. Das BKA unterstreicht Überschneidungen zum Islamismus. Übrigens ein Beleg dafür, wie kritisch die Definition der OK betrachtet werden muß, grenzt sie doch explizit den Terrorismus aus. Hauptgeschäftsfelder sind Rauschgifthandel und Schleusungen.