© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Der zähe Kampf gegen Korruption
Wahlen in der Ukraine: Rückhalt für Präsident Selenskyj schrumpft / Kleine Erfolge im Krisengebiet Ostukraine
Josef Mathias Roth

Vitali Klitschko gehört sicher zu den in Deutschland bekanntesten Ukrainern. Seit kurzem kann er für sich auch den etwas zweifelhaften Ruhm in Anspruch nehmen der international bekannteste an Corona erkrankte Ukrainer zu sein. Kurz vor der ersten Runde der ukrainischen Kommunalwahl am 25. Oktober erklärte der Kiewer Bürgermeister in den sozialen Netzwerken: „Freunde! Das Coronavirus hat im unpassendsten Moment zugeschlagen.“ Danach begab er sich in Quarantäne. Corona konnte allerdings seine Wiederwahl nicht verhindern. Bereits im ersten Wahlgang bekam der frühere Boxweltmeister 50,2 Prozent der Stimmen.

Landesweit gehörte die relativ ruß­landfreundliche „Oppositionsplattform“ zu den Gewinnern der Wahl. Sie konnte vor allem im Osten und im Süden des Landes punkten. Dagegen lagen in den Gemeinden der Westukraine die Partei des früheren Präsidenten Poroschenko wie auch stramm nationalistische Parteien vorne. Bei den Stichwahlen am 15. November in Odessa, Sumy und Kramatorsk zeichnete sich bis Montag noch kein deutlicher Trend ab.

Der ausbleibende Frieden für die Ostukraine dürfte ebenso zum schlechten Abschneiden von Präsident Wolodymyr Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ bei den Regionalwahlen beigetragen haben wie die unzureichenden Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung. Dabei war gerade der versprochene Kampf gegen die Korruption mitentscheidend für Selenskyjs Erdrutschsieg bei den Präsidentschaftswahlen 2019 gegen seinen Vorgänger Petro Poroschenko.

Doch Selenskyj konnte bisher die Korruption und den Einfluß der Oligarchen nur begrenzt zurückdrängen. Aktuell schlägt ein Konflikt um das ukrainische Verfassungsgericht hohe Wellen in der ukrainischen Öffentlichkeit. Ende Oktober reichte der Präsident einen Gesetzentwurf im Parlament ein, mit dem er die Amtszeit der Verfassungsrichter vorzeitig beenden wollte.

Richter wenden sich gegen Anti-Korruptionsverordnung 

Anlaß für seinen Angriff auf das höchste Gericht des Landes waren umstrittene Urteile. So hatten die Richter mehrere Verordnungen der Regierung zur Korruptionsbekämpfung als verfassungswidrig eingestuft. Das Gericht entschied, daß die Strafen für Falschangaben bei der Vermögenserklärung von Beamten „unverhältnismäßig“ seien. Doch gerade Beamte gelten in der Ukraine als korruptionsanfällig.

Die EU stellte sich eindeutig auf Selenskyjs Seite. Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagte zum Urteil, dieses werde „weitreichende Folgen für die gesamte Infrastruktur der Korruptionsbekämpfung in der Ukraine haben“. Die EU warnte, daß der visafreie Reiseverkehr für Ukrainer in die Union und finanzielle Hilfen der EU für die Ukraine nur bei einer erfolgreichen Korruptionsbekämpfung garantiert seien.

Allerdings traf die Initiative des Präsidenten zur Absetzung der Richter sowohl bei der Opposition als auch in Teilen seiner eigenen Partei auf Kritik. Deshalb ruderte Selenskyj Anfang November zurück und rief nun die Richter zur freiwilligen Amtsaufgabe auf: „Daher sollten sie, wenn sie ihre Würde und ihr Ansehen in der Gesellschaft bewahren wollen, von sich aus ihren Rücktritt erklären.“ Selenskyj hatte erkannt, daß er selbst keine rechtliche Möglichkeit hat, die Verfassungsrichter abzuberufen.

Beendet ist der Konflikt um das Verfassungsgericht aber noch lange nicht. Zudem ist davon auch die Arbeit des Nationalen Antikorruptionsbüros betroffen. Dies hat die Aufgabe, gegen die massive Korruption im Land vorzugehen, doch seine Arbeit wird von verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen hintertrieben.

Bisher ist die Reformpolitik Selenskyjs nur von begrenztem Erfolg. Vadym Halyschuk, Abgeordneter von „Diener des Volkes“, betont in der Online Konferenz einer ukrainischen Stiftung Anfang November: „Wir stehen erst am Anfang des Reformprozesses. Wir sind erst ein gutes Jahr in der Regierung.“

Kiew in eine europäische Stadt verwandeln

Auch der Krieg in der Ostukraine geht weiter, obwohl Selenskyj hier ebenfalls Verbesserungen versprochen hatte. Aber immerhin wurde ein seit Juli bestehender Waffenstillstand von beiden Seiten weitgehend eingehalten. Ende Oktober kam es dann allerdings zu erneuten Gefechten.

Bei der Umsetzung des Minsker Friedensplans von 2015 gibt es kaum Fortschritte. So ist die Bestimmung  Friedensplans, daß in den Separatistengebieten regionale Wahlen abgehalten werden und diese einen Sonderstatus in der ukrainischen Verfassung erhalten sollen, nicht verwirklicht worden. Selenskyj wird in der Frage des Sonderstatus von den nationalistischen Kräften in der Opposition unter Druck gesetzt, die darin ein Entgegenkommen an die Separatisten sehen.

Sicher hat auch die negative wirtschaftliche Lage zum schlechten Abschneiden der Regierungspartei bei den Regionalwahlen beigetragen. Aufgrund der rasch steigenden Corona-Erkrankungen seit August wurden wieder neue Beschränkungen verfügt. Die Ukraine zählt zu den Ländern mit dem niedrigsten Bruttosozialprodukt pro Kopf in Europa. Die Schwäche der ukrainischen Wirtschaft macht das Land für die Folgen der Corona-Krise besonders verwundbar.

Zu den großen inneren Problemen kommt seit kurzem eine neue außenpolitische Herausforderung hinzu. Lange hatte die Ukraine zum Nachbarn Belarus ein gutes Verhältnis. Die enge Beziehung von Minsk zu Moskau störte dabei eher wenig. So waren sowohl Moskau wie  auch Kiew einverstanden, als der belarussische Staatschef Aljaksandr Lukaschenka Minsk als Verhandlungsort für die Gespräche zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine vorschlug. Doch die Proteste der Opposition gegen Diktator Lukaschenka haben Selenskyj veranlaßt, deutlich vom belarussischen Präsidenten abzurücken. Allerdings vermeidet es die ukrainische Regierung, sich direkt in den Konflikt hineinziehen zu lassen. Eine Strategie, die man gut nachvollziehen kann, denn die Ukraine steht auch so schon vor sehr großen Herausforderungen in den kommenden Jahren.

Zumindest Vitali Klitschko freut sich über seine Wiederwahl, da diese nicht selbstverständlich war. Kritiker werfen ihm vor, viel Geld in Prestigeprojekte gesteckt, aber zugleich die Infrastruktur Kiews vernachlässigt zu haben. So ist die Kanalisation überfordert und regelmäßig werden bei Starkregen komplette Straßenzüge unter Wasser gesetzt. Dazu sagte der ukrainische Politologe Viktor Taran: „Als Klitschko versprach, die Hauptstadt in eine wahre europäische Stadt zu verwandeln, hatte niemand den Verdacht, daß er damit Venedig meinte.“