© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

„Ein Silberstreif am düsteren Horizont“
Corona-Krise: BioNTech/Pfizer und der US-Konkurrent Moderna präsentieren ähnliche mRNA-Impfstoffe
Jörg Schierholz

In Brüssel und Berlin scheint die Entscheidung schon gefallen zu sein: Ein Liefervertrag über bis zu 300 Millionen Impfdosen wurde von der EU-Kommission gebilligt. „Ein sicherer und wirksamer Impfstoff ist unsere beste Chance, das Coronavirus zu schlagen und unser normales Leben wiederaufzunehmen“, erklärte vorige Woche Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Für Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist die Aussicht auf einen Impfstoff im ersten Quartal 2021 ein „Licht am Ende des Tunnels“.

Für den Medizinprofessor Clemens-Martin Wendtner sind die ersten Studiendaten „ein Silberstreif am sonst so düsteren Horizont“. Allerdings müßten auch Langzeitnebenwirkungen auf dem Radarschirm bleiben, so der Chefarzt der Klinik für Infektiologie des Klinikums Schwabing im Münchner Merkur. Anlaß für den Optimismus ist der Corona-Impfstoff „BNT162b2“ der Mainzer Firma BioNTech SE und deren Partner Pfizer und Fosun. Die Zwischenauswertung einer Phase-3-Studie übertraf mit 90 Prozent Impferfolg die Anforderungen der Zulassungsbehörden (50 Prozent) und könnte den Weg zur ersten Notfallzulassung (Emergency Use Authorization) noch in diesem Jahr ebnen.

Ein lukratives Milliardengeschäft

BioNTech wurde 2018 von dem türkischstämmigen Forscherpaar Ugur Sahin und Özlem Türeci sowie dem österreichischen Immunologen Christoph Huber gegründet und hatte 2018 mit dem US-Pharmakonzern Pfizer eine 424-Millionen-Dollar-Allianz zur Entwicklung von sogenannten mRNA-basierten Vakzinen gegen Influenza unterzeichnet. Im Frühjahr kam Covid-19 hinzu, zudem stieg die Shanghai Fosun Pharmaceutical Group mit ein. Außerdem erhielt BioNTech für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus 100 Millionen Euro von der Europäischen Investitionsbank und 375 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium.

Die Biochemie-Professorin Katalin Karikó arbeitete über 25 Jahre an der University of Pennsylvania und war dort eine Miterfinderin der mRNA-Technologie. Im August 2019 kam die 65jährige Ungarin zu BioNTech. Nun werden Teile der Erbinformation von Sars-CoV-2 genutzt, um das Immunsystem zu aktivieren. Der Vorteil: Diese neuartigen Impfstoffe können sehr schnell produziert werden. Die Impfung erzeuge keine Infektion, es würden keine Virusgene auf den Menschen übertragen, verspricht Karikó. Zudem würden aktivierte Gedächtniszellen den geimpften Personen auch dann einen gewissen Schutz verleihen, wenn keine Antikörper mehr vorhanden seien.

Da das Coronavirus wohl über Jahre aktiv bleibt, können Impfstoffhersteller auf Umsätze von über 100 Milliarden Dollar hoffen. BioNTech und Pfizer könnten sich laut einer UBS-Analyse als „First Mover“ die Hälfte davon sichern. Neben der EU haben sich zuvor schon die USA, Kanada und Japan Lieferungen gesichert. Pfizer rechnet für 2021 mit bis zu 1,3 Milliarden Impfdosen bei einem Preis von 19,50 Dollar pro Impfung.

Der BioNTech-Aktienkurs hat sich innerhalb eines Jahres etwa verachtfacht, der des Partners Pfizer schwankt hingegen um 38 Dollar – warum? Die Konkurrenz schläft nicht, und die Weltgesundheitsorganisation listete am 12. November 48 aussichtsreiche Impfstoffkandidaten unterschiedlicher Wirkungskonzepte. Der US-Verbund aus der Firma Moderna und dem National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) versprach für seinen Impfstoff „mRNA-1273“ am 16. November sogar eine Wirkungsquote von 94,5 Prozent – bei einem Preis von 32 bis 38 Dollar pro Dosis. Chef des NIAID ist übrigens der 79jährige US-Regierungsberater Anthony Fauci. Gefördert wurde die Entwicklung von Donald Trumps „Operation Warp Speed“ (OWS).

Eine teure Kühlkette und Sorgen bei der Sicherheit

Dicht auf den Fersen ist die Allianz University of Oxford/AstraZeneca. Mit „AZD1222/ChAdOx1-S“ präferiert die britisch-schwedische Konkurrenz einen „Non-Replicating Viral Vector“-Impfstoff – eine bewährte Technologie, die ein Sars-CoV-2-Oberflächenprotein mit genetischem Material kombiniert, welches das Immunsystem nach einer Virusinfektion aktiviert. Das AZD1222-Projekt begann schon im Januar 2020, es wird unterstützt von der OWS, der US-Medizinbehörde Barda sowie der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (Cepi), gegründet von der milliardenschweren Gates-Stiftung.

Nach einer wochenlangen Studienpause wegen einer möglichen Nebenwirkung der AZD1222-Impfung ist auch hier bald mit neuen Studiendaten zu rechnen. Und: Die Immunantwort scheint hier bei älteren Patienten robuster auszufallen. Die auch von der EU unterstützte Allianz Sanofi (Paris) und GlaxoSmithKline (London) scheint in der finalen Impfstoffentwicklung deutlich zurückzuliegen.

Novavax (Maryland) hatte bislang Pech mit seiner Impfstoffentwicklung gegen Mers, Sars, Grippe und Ebola. Die US-Biotechfirma verbrannte dabei 1,1 Milliarden Dollar, erhielt jedoch via OWS und Cepi sowie von seinen Aktionären zwei Milliarden Dollar, um die finale klinische Testphase 3 im ersten Quartal 2021 beenden zu können.

Unterhalb des westlichen Radarschirms laufen die chinesischen Allianzen CanSino/Academy of Military Medical Sciences, Sinovac (Peking) und Sinopharm. Obwohl bislang kaum Daten veröffentlicht wurden, bereiten sich die drei chinesischen Konzerne auf eine Impfstoffverteilung ab Dezember vor. Schon ab Ende Juni wurden angeblich 400.000 Personen geimpft – vor allem Ärzte, Soldaten, Polizisten, Wissenschaftler und Parteifunktionäre.

Auch das Gamaleya Research Institute (Moskau) steht mit seinem „Sputnik V“-Impfstoff (JF 36/20) auf der WHO-Liste. Militär, Ärzte und Ordnungskräfte werden jetzt schon geimpft. Zum Jahresende sollen Massenimpfungen starten. Eine volle Zulassung soll es im ersten Quartal 2021 geben.

Wer noch in diesem Jahr einen aussichtsreichen Corona-Impfstoff präsentiert, wird belohnt: BioNTech ist derzeit etwa 20 Milliarden Euro wert – mehr als der Dax-Konzern Fresenius. Ugur Sahin und Özlem Türeci sowie die BioNTech-Haupteigner Andreas und Thomas Strüngmann, die mit dem Verkauf des Generikaherstellers Hexal an Novartis Milliarden verdienten, erfreuen sich an ihrem Vermögenszuwachs. Auch die Aktionäre des möglichen „Game Changers“ Moderna haben viel Freude mit dem Börsenkurs. Selbst bei Curevac oder Inovio gab es üppige Kurssprünge, obwohl bei beiden noch keine erfolgreiche Phase-3-Studie bei der WHO gelistet ist.

Der BioNTech/Pfizer-Impfstoff verlangt eine Kühlkette von unter minus 70 Grad Celsius – bei Moderna und für herkömmliche Impfstoffe reicht ein Kühlschrank. Auch bei der Wirksamkeit und der Sicherheit in den unterschiedlichen Altersgruppen kann es noch zu Überraschungen kommen. Daher teilen nicht alle Impfstoffexperten die Euphorie in Deutschland und den USA.

mRNA-basierte Impfstoffe:

 investors.biontech.de

 investors.modernatx.com

www.who.int