© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

Eine entlarvende Handtasche
Erste Grabung in Leni Riefenstahls Archiv
Wolfgang Müller

Im Februar 2018 übernahm die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Nachlaß von Leni Riefenstahl (1902–2003). Schenkerin war ihre Sekretärin und Nacherbin Gisela Jahn, die die Hinterlassenschaft der Regisseurin und Fotografin dauerhaft in deren Geburtsstadt Berlin wissen wollte. Als Vorbild diente ihr dabei die Unterbringung des Lebenswerkes von Helmut Newton (1920–2004) im neugegründeten Museum für Fotografie.

Der Berliner Newton, jüdischer Herkunft, 1938 nach Australien emigriert, bewunderte Leni Riefenstahl als Künstlerin zeitlebens („die revolutionärste Fotografin und Filmemacherin unserer Zeit“), wenngleich „ihre Nazi-Sachen beschissen waren“. 

Bislang keine „Sensationsfunde“

In Berlin, wo der in 700 Umzugskartons verpackte Riesennachlaß auf Staatsbibliothek, Kunstbibliothek, Ethnologisches Museum und Stiftung Deutsche Kinemathek verteilt wurde, ist inzwischen eine „erste Grabung“ abgeschlossen worden, der die „systematische Tiefenerschließung“ und, in einigen Jahren, deren digitale Präsentation folgen sollen.  

Was die leitenden Archivare aus den Schatzkisten bisher zutage förderten, scheint wenig für die bundesdeutsche Bewältigungsmaschinerie zu taugen (Zeitschrift für Ideengeschichte, 4/2020). „Heiß erwartete Sensationsfunde (etwa schwärmerische Briefe von Adolf Hitler oder Vorarbeiten zu einem Propagandafilm ‘Griff nach den Sternen’ in Zusammenarbeit mit Wernher von Braun und dem Verein für Raumfahrt) sind bislang ausgeblieben.“ Das Archiv sei also weniger spektakulär, als man vermuten könne.

Entsprechend lustlos beschreiben die etwas enttäuschten Herren Ludger Derenthal (Kunstbibliothek), Matthias Struch (Kinemathek) und Moritz Wullen (Kunstbibliothek) drei exemplarische Objekte: einen zwölfseitigen, 1934 verfaßten Brief eines Riefenstahl hymnisch verehrenden NS-Blockwarts aus Aachen, ihre erste Porträtaufnahme, mit der die 1929 noch als Schauspielerin aktive Riefenstahl sich als Fotografin versuchte, sowie die „afrikanische Handtasche mit Wildkatzenmusterung“, ein Utensil, das sie in den 1960ern und 1970ern auf Fototouren in Kenia und im Sudan begleitete. Für Struch, der damit das Muster zu befürchtender 08/15-Deutungen vorgibt, führt schon diese Tasche in „abgründige Ambivalenzen“, die auf „entlarvende Weise“ die „Wirklichkeitskonstruktionen“ ihrer NS-Filme mit Riefenstahls afrikanischen „Inszenierungsstrategien“ verbinden.