© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

CD-Kritik: Beethoven – Ian Bostridge
Arbeit am Lied
Jens Knorr

Beethovens Liedzyklus „An die ferne Geliebte“ op.98 ist neben „Adelaide“ op. 46 längst ins Repertoire jedes Sängers, der etwas auf sich hält, eingegangen. Auch Beethovens Bearbeitungen irischer, schottischer und walisischer Volkslieder sind seit der legendären Gesamtausgabe bei Eterna, für die sie vollständig eingespielt wurden, bekannt.

Im Zentrum der Liedauswahl jedoch, die der englische Tenor Ian Bostridge getroffen hat, scheinen mir die vier Fassungen von „Sehnsucht“ WoO 134 zu stehen, jenes vielgedeuteten und nie ganz auszudeutenden zweiten Liedes der Mignon. Singt er in seiner knappen Auswahl der Volkslieder gelöst, frei von der Leber weg, so scheint er insbesondere in den interpretationsüberlasteten Liedern nach Goethe alles ganz und gar richtig machen zu wollen. Bostridges Interpretationen weisen durchaus Male ernstester Auseinandersetzung mit Dichter, Komponist und deutscher Kultur auf, selbst noch die des sarkastischen „Flohliedes“ oder der aufreizenden „Marmotte“. Seine „pronunciation is prime“, jedoch die Tonemission nicht immer stet, der Stimmklang in der Höhe gell statt nur hell – immer dann, wenn das Ausdrucksbegehren über die stimmlichen Grenzen hinaus will.

Kommt aber die Schufterei des Sängers der des Komponisten Beethoven nicht nahe? Bostridges Singen verbirgt beider nicht.

Beethoven Lieder und Volkslieder Warner Classics 2020 www.warnerclassics.com