© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 48/20 / 20. November 2020

„Soulfood für zu Hause“
Im Lockdown: Lieferservices erleben während Corona einen Boom / Sogar in der Sterne-Küche
Gil Barkei

Auf die Frage, wann die zwei Pizzen abholbereit seien, erfolgt die freundliche Antwort der Frauenstimme am anderen Ende der Telefonleitung: „Ich brauche nur ihre Adresse und dann liefern wir das Essen gerne zu ihnen nach Hause. Wir haben jetzt wegen Corona auch einen Lieferservice.“

In Zeiten der Pandemie und besonders jetzt im zweiten Lockdown brummt das Geschäft mit den Lieferangeboten. Neben Supermärkten und Drogerien bieten auch immer mehr Restaurants die Dienstleistung an, um den Betrieb trotz der Zwangsschließung irgendwie am Laufen zu halten. „Ohne die treuen Stammkunden, die gezielt öfter bestellen, wäre der erste Lockdown schon schwierig für uns geworden“, erzählt die Angestellte eines indischen Restaurants. Viele Wirte haben jedoch im Gegensatz zu systemgastronomischen Ketten keine eigenen Strukturen und Kapazitäten, um die verpackten Mahlzeiten bis vor die Haustür der Kunden zu bringen. 

So profitieren Lieferdienste wie Lieferando. „Seit der Bekanntgabe des zweiten Lockdowns haben sich schon rund 750 Restaurants auf unserer Plattform registriert“, heißt es seitens des Unternehmens gegenüber watson.de. Zudem lockt ein „Hilfspaket“ neue Partner: Jüngst angemeldete Lokale erhalten die Vermittlung und die Auslieferung über die Plattform die ersten vier Wochen kostenlos. Restaurants, die schon länger dabei sind, bekommen 25 Prozent Rabatt.

Bereits im ersten Lockdown meldete der Marktführer in Deutschland zunehmende Anmeldungen. Rund 49 Millionen Bestellungen verzeichnete Lieferando hierzulande im ersten Halbjahr; ein Plus von 34 Prozent im Vergleich zu 2019. Der Umsatz verdoppelte sich von 80 Millionen auf 161 Millionen Euro. Damit wächst auch der Bedarf an Mitarbeitern. Die Tochter der niederländischen Firma Just Eat Takeaway sucht daher 1.000 „Rider“ zur Unterstützung ihrer derzeit 5.000 Fahrer. Allerdings gibt es immer wieder Kritik wegen prekärer Arbeitsbedingungen.

Die Pakete werden deutschlandweit verschickt

Der Boom der Branche, über den sich  viele nicht freuen können, trifft auf ein rundes Jubiläum: Vor 60 Jahren gründete Tom Monaghan in den Vereinigten Staaten die Pizza-Kette Domino’s und prägte damit das moderne Liefergewerbe. Dabei ist die Grundidee viel älter, aber dennoch eng mit dem italienischen Kultgericht verbunden: Der Legende nach erfand der Pizzabäcker Raffaele Esposito nicht nur die Pizza Margherita, sondern vollzog auch die erste Lieferung. 

Als 1889 König Umberto I. Neapel besuchte, verlangten er und seine Frau Margherita von dem örtlichen Pizzaiolo eine Kostprobe seines Handwerks. Geehrt kreierte dieser eine patriotische Huldigung und belegte den Teig, entsprechend der italienischen Nationalfarben, mit grünen Basilikumblättern, weißem Mozzarella und roten Tomaten. Natürlich ließ er sich da eine persönliche Übergabe nicht nehmen.

Aber nicht nur Anbieter „einfacher“ Kost werben in der Corona-Krise mit dem Nach-Hause-Service, auch die Sterne-Küche muß den Konsumenten erreichen, um über die Runden zu kommen. So bietet das Drei-Sterne-Restaurant „Vendôme“ im „Althoff Grandhotel Schloß Bensberg“ in Bergisch Gladbach ebenfalls einen Lieferservice. Unter dem Motto „Gourmet Privé“ gibt es seit Anfang November ein Fünf-Gänge-Daheimmenü für 160 Euro.

Auch der mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete Berliner Spitzenkoch Tim Raue preist seinen Lockdown-Bringdienst „Fuh Kin Great“ an. Und das sogar deutschlandweit: Jeden Dienstag und Mittwoch werden jeweils 100 Pakete mit einem Vier-Gang-Menü für 68 Euro online freigeschaltet, die per Post an die schnellsten Besteller verschickt werden. 

Wagyu Beef mit Roter Beete für 24 Euro

Dafür erreichen den entfernten Gaumen dann Wasabi-Garnelen mit Nuc Mam Dressing & Koriander, Kabeljau mit Schmorgurken & Estragonpüree, Königsberger Klopse mit Rote-Bete-Salat & Kartoffelpüree sowie Cookies & Chocolatés. Hauptstädter können das „Soulfood für zu Hause“ auch einzeln und per Direktlieferung oder Abholung bestellen: Eine Portion geschmortes Wagyu Beef mit Roter Bete, Petersilie & Jalapeno kostet 24 Euro. Allerdings gilt: Die Gerichte müssen am Vortag bis 16 Uhr bestellt werden. Wenigstens kann man die Weinempfehlung ausgiebig genießen, ohne sich Gedanken machen zu müssen, wie man später nach Hause kommt.