© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

Ausgegrenzt und wütend
Infektionsschutzgesetz: Die Regierung will Kritik daran kleinhalten
Ronald Berthold

Die Corona-Politik hat unser Land fest im Griff. Nach dem tristen November erwartet die Deutschen eine graue Adventszeit. Vieler Freizeitaktivitäten beraubt, verstärken sich Isolation und Depression in der dunklen Jahreszeit. Vom nun bis kurz vor Weihnachten verlängerten Lockdown betroffene Unternehmer – ohnehin schon am Rand ihrer Existenz – schiebt die Politik mit ihren Maßnahmen über die Klippe. Die verkündeten Zuschüsse helfen kaum. Dafür explodiert die Staatsverschuldung. Es addiert sich ein Desaster auf vielen Ebenen, zumal der Lockdown im November bislang nicht das Ziel erreicht hat: die Ausbreitung des Corona-Virus deutlich abzuschwächen.

Im Windschatten einer fortgesetzten kollektiven Panikmache peitscht die Bundesregierung im Eilverfahren ein höchst umstrittenes Infektionsschutzgesetz, in dem 24mal die Wörter „ermächtigen“ und „Ermächtigung“ vorkommen, durch Bundestag und Bundesrat. Es blieb kaum Gelegenheit, die schweren Eingriffe in die Grundrechte der Bürger angemessen zu diskutieren.

Ausnahmsweise ist Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung einmal zuzustimmen, wenn er feststellt, es sei eine Stimmung entstanden, „die die Grundrechte in Krisenzeiten als Ballast betrachtet“. Und Prantl weiter: „Man kann beobachten, wie ansonsten kritische Menschen schon aggressiv reagieren, wenn einer zu fragen wagt, ob es denn zielführend und verhältnismäßig ist, was der Staat da an Verboten verordnet.“

Fragwürdig ist es auch, wie die Ordnungskräfte mit jenen Menschen umgingen, die gegen die Maßnahmen demonstrieren. Bei der Kundgebung am Brandenburger Tor warfen Polizisten einen Bundestagsabgeordneten gewaltsam zu Boden und fesselten ihn. Ein beängstigendes Novum in der Geschichte der Bundesrepublik.

Spielen sich solche Szenen in anderen Staaten ab, skandalisieren deutsche Journalisten sie zu Recht an prominenter Stelle. Diesmal jedoch (weil es „nur“ den AfD-Mann Karsten Hilse betraf?) blieb das Ereignis so gut wie unerwähnt. Sein Vergehen: Er trug keine Maske, zeigte ein ärztliches Attest. Ob dies, wie jetzt behauptet, gefälscht ist, wird sich ebenso im Zuge staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zeigen wie auch, warum die Polizei derart gewaltsam vorging. Erleben wir einen Vorgeschmack auf das, was uns mit dem neuen Gesetz bevorsteht? 

Die Demonstranten werden sich in ihren Ängsten um die Grundrechte bestätigt sehen. Offenbar hatte die Polizei Anweisung, gegen Protestler hart durchzugreifen. Das traf sogar Unbeteiligte. Eine Frau, die an jenem Morgen vom Berliner Hauptbahnhof zu ihrer Tochter nach Aachen reisen wollte, packten Beamte dort ohne vorherige Ansprache heftig am Genick, weil sie – ebenfalls durch ein Attest befreit – Mund und Nase nicht bedeckte. Trotz Bescheinigung wurde sie ultimativ vor die Wahl gestellt, nicht reisen zu dürfen oder sich zu maskieren.

Die Kritik an dem neuen Gesetz will die Bundesregierung kleinhalten. Das läßt nichts Gutes erwarten. Der erste Wasserwerfer-Einsatz in der Hauptstadt seit 18 Jahren unterstreicht, wie nervös die Exekutive auf friedliche Proteste reagiert. Weder am 1. Mai noch bei sonstigen in der Hauptstadt regelmäßig stattfindenden gewaltsamen Ausschreitungen der linksextremen Szene setzte die Polizei diese  furchteinflößenden Fahrzeuge ein. Nun aber, an einem November-Vormittag, zeigte die Polizeiführung kein Pardon. Alarmierend ist, wie der Staat Regeln nach Gutdünken auslegt und wie doppelte Standards vorgelebt werden. Daß die Kölner SPD-Wahlparty vor sechs Wochen komplett ohne Masken und Abstand stattfand, sorgte zunächst nur in sozialen Netzwerken für Empörung. Ebenso ein Bild des Bundespräsidenten zu Vor-Lockdown-Zeiten, der in Südtirol für die dortige Lokalpresse Arm in Arm und ohne Maske mit Musikern posierte. Und Politiker, die die Gesichtsbedeckung abziehen, sobald sie glauben, die Kameras laufen nicht mehr, gehören zum Alltag.

Daß all dies den Zorn der Corona-Maßnahmen-Kritiker verstärkt, ist verständlich. Der Schluß liegt nahe, nicht nur die Maskenpflicht gelte exklusiv nur für den Otto-Normalbürger, sondern auch die gravierenden Einschränkungen der Freiheitsrechte. Hinzu kommt eine mediale Dämonisierung der Kritiker der Corona-Politik: Manche Blätter, wie beispielsweise die Märkische Oderzeitung, verfälschten Berichte über die Leipziger Corona-Großdemo – angeblich versehentlich – mit Bildern von Krawallen Linksradikaler in Connewitz. Authentische Fotos der vielfältigen, bunten – sicherlich auch gelegentlich schrägen – friedlichen Protestler sind in der Regel nur auf den sozialen Kanälen der Teilnehmer zu sehen.

Ins Kafkaeske bewegt sich die Debatte um die richtigen Maßnahmen gegen die Pandemie, wenn die Regierung jetzt sogar den Verfassungsschutz gegen die „Querdenker“ von der Leine läßt. Die Demonstranten bezeichnen es gerade als Kernanliegen ihrer Proteste, die dort festgeschriebenen Grundrechte zu verteidigen. 

Der Graben zwischen Befürwortern und Kritikern der Corona-Politik wird tiefer. Auch wenn es eine weiterhin deutliche Mehrheit gibt, die die Politik unterstützt – das sollte man nicht vergessen –, haben die Kritker das Recht auf ein freies Gehör. Menschen, deren Anliegen weder von der Politik noch von den Medien aufgenommen werden, fühlen sich ausgegrenzt, ohnmächtig und wütend. Es ist eine brisante Mischung an Dissidenten, die die Bundesrepublik züchtet.