© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

„Wir lassen uns nicht unterwerfen“
Streit um den EU-Haushalt: Ungarn, Polen und Slowenien wollen dem neuen EU-Etat in seiner disziplinierenden Form nicht folgen
Liz Roth

Guy Verhofstadt, der belgische Eurokrat, ist wütend: „Keine Beugung. Keine Neuverhandlung. Keine Kompromisse der EU-Werte“, schreibt er auf Twitter. Das Veto von Ungarn und Polen zum 2021bis 2027 EU-Haushalt verärgert Brüssel, da der 1,8-Billionen-Euro-Etat einstimmig von den 27 Mitgliedsstaaten verabschiedet werden muß. Die Regierungen der beiden Länder kritisieren, daß die neuen Bedingungen zu „politisch motivierten Finanzsanktionen“ führen könnten. Bisher basierte die Verteilung der EU-Gelder weitgehend auf wirtschaftlichen Überlegungen, wobei die ärmsten Staaten am meisten erhalten und die reichsten Länder wie Deutschland und Frankreich am meisten bezahlen. 

Unbotmäßige Länder sollen „finanziell aushungern“

Das neue System ermöglicht, daß die Mittel leicht abgezogen werden können, wenn sich die Nationalstaaten den Anweisungen der Europäischen Union widersetzen oder bei Fragen wie der Umverteilung von Migranten nicht die Linie von Brüssel halten. 

Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki begründet den Widerstand damit, daß es zu der Einführung „willkürlicher und nicht-objektiver Kriterien für die Auszahlung von Haushaltsmitteln“ führen wird. Ein Sprecher fügt hinzu, „daß die vorgeschlagenen Regeln nicht mit den EU-Verträgen und den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates vom Juli vereinbar sind“.  

Auch Polens Justizminister Zbigniew Ziobro war sehr deutlich und nannte diese Regelungen einen Angriff auf die Souveränität einzelner EU-Staaten. „Dies ist keine Rechtsstaatlichkeit, die nur ein Vorwand ist, sondern in Wirklichkeit eine institutionelle, politische Versklavung, eine radikale Einschränkung der Souveränität.“ 

Hatte nicht Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des EU-Parlaments, betont, daß schlecht benehmende EU-Mitglieder, wie Ungarn und Polen, „finanziell ausgehungert“ werden sollten? 

Ein Kommentar mit dem Titel „Europa muß Ungarn und Polen die Stirn bieten“ als Resultat des Konfliktes von dem in Ungarn geborenen amerikanischen Finanzinvestor George Soros, der sich aus New York äußerte, führte nun zu einer Zuspitzung der Lage. Laut Soros ist „das Veto ein verzweifeltes Vabanquespiel zweier Serientäter“. Der Milliardär schlägt für den Fall, daß es keine Einigung über einen neuen Haushalt gebe, vor, den alten Haushalt, der Ende 2020 ausläuft, auf jährlicher Basis zu verlängern. Ungarn und Polen würden dann keine Zahlungen aus diesem Haushalt erhalten, da ihre Regierungen gegen die Rechtsstaatlichkeit verstießen.

Ebenso könnte laut Soros der Konjunkturfonds, genannt Next Generation EU, durch ein Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit umgesetzt werden, wie es Guy Verhofstadt vorgeschlagen hat. „Wenn die EU diesen Weg einschlagen würde, könnte das Veto von Orbán-Kaczynski umgangen werden. Die Frage ist, ob die EU, allenfalls mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze, den politischen Willen aufbringen kann“, so Soros.

George Soros: „Orbán raubt sein Land aus“ 

Parallel dazu wirft der Vorsitzende der Soros-Fondsverwaltung und der Open Society Foundation, der selbst bereits wegen Insiderhandels verurteilt wurde, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán Korruption und Unterdrückung seines Volkes vor. 

„Orbán hat in Ungarn ein ausgeklügeltes kleptokratisches System aufgebaut, um das Land auszurauben. Der Betrag, um den er seine Familie und Freunde bereichert hat, ist schwer zu schätzen, aber viele von ihnen sind überaus wohlhabend geworden.“ Soros fordert die Europäische Union auf, Ungarn und Polen dazu zu bringen, sich den Werten der „offenen Gesellschaft“ zu unterwerfen. 

Orbán kontert in einem Interview mit Kossuth Rádió und nennt Soros den „korruptesten Mann der heutigen internationalen Politik“. „George Soros hat eine Menge Politiker in der Tasche, die nun Ungarn und Polen erpressen wollen, um Zugang zu EU-Geldern zu erhalten“, fährt er fort und beschuldigt den Milliardär, „absurde, über die rote Linie hinausgehende Aussagen“ über sein Land zu verbreiten.

Der Europaabgeordnete Tamás Deutsch von Orbáns Fidesz hat die Position Ungarns in einem Radiointerview bestärkt. „Vielen Dank, wir wünschen uns weder östliche noch westliche Tyrannei“, sagte er und betonte, man wolle Ungarn dazu zwingen, Migranten zuzulassen, während man sich hinter der Rechtsstaatlichkeit in einer Art und Weise verstecke, die „unwahrhaftig und ärgerlich“ sei.

Auch Sloweniens Premierminister Janez Janša sprach Bedenken zum neuen Haushalt aus. In einem Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs betonte er, daß das neue Abkommen, in dem rechtsstaatliche Bestimmungen in den EU-Haushalt und die Erholungsfazilität eingefügt worden seien, die Vereinbarung des EU-Gipfels vom Juli über das Finanzierungspaket untergrabe.

 „Slowenien unterstützt die Achtung der Rechtsstaatlichkeit in allen Fällen bedingungslos und ohne doppelte Standards“, fügte Janša hinzu. Er betont allerdings, daß „zahlreiche Medien und einige Fraktionen im Europäischen Parlament offen damit drohen, das fälschlicherweise als ‘Rechtsstaatlichkeit’ bezeichnete Instrument zu nutzen, um einzelne EU-Mitgliedstaaten durch eine Mehrheitsentscheidung zu disziplinieren“.