© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

Fünf verlorene Jahre
Kampf gegen Terrorfinanzierung und Geldwäsche: Schon 2015 sahen sich Berlin und Brüssel auf einem guten Weg – die aktuelle Terrorwelle bestätigt dies nicht
Christian Schreiber

Mit bewegenden Worten erinnerte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière am 24. November 2015 noch einmal an die terroristischen Anschläge, die Paris am 13. November 2015 erschüttert hatten. De Maizière betonte dabei, daß Deutschland sofort nach den Anschlägen weitere Maßnahmen für die Sicherheit des Landes ergriffen habe, etwa verstärkte Grenzkontrollen durchführe und die Polizeipräsenz an Flughäfen und Bahnhöfen erhöht habe. Zudem unterstrich der CDU-Politiker, daß die Bundesregierung in den vergangenen Monaten bereits die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt, das Reisen in Krisengebiete strafbar gemacht sowie die Terrorfinanzierung stärker unter Strafe gestellt habe. 

Ende April 2015 schuf Berlin mit dem neuen Paragraphen 89c StGB einen eigenständigen Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung. Er ersetzte die bisherige Nummer 4 in § 89a Absatz 2 StGB und stellte die Finanzierung terroristischer Taten in einer einheitlichen Regelung unter Strafe. Dabei ging er über den engen Anwendungsbereich der bisherigen Regelung deutlich hinaus, indem er die Finanzierung terroristischer Straftaten allgemein unter Strafe stellte. 

Moderne Technologie erschwert Ermittlungsarbeit 

Parallel dazu verwies der CDU-Politiker darauf, daß auch der Sonderrat der Innen- und der Justizminister der EU am 20. November 2015 wichtige Beschlüsse zur Abwehr terroristischer Gefahren getroffen habe, die auch das strafrechtliche Vorgehen gegen Terrorismusfinanzierung beinhalteten. Drei Jahre später veröffentlichte Brüssel die Richtlinie (EU) 2018/1673 vom 23. Oktober 2018 zur strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche. 

Mitte Februar 2019 setzten die EU-Gesetzgeber noch einen drauf und präsentierten „strengere Regeln im Kampf gegen Terrorfinanzierung“.  „Strafverfolgungsbehörden sollen künftig schneller grenzüberschreitenden Zugang zu Finanzinformationen erhalten, die für Ermittlungen bei schweren Straftaten erforderlich“ seien, hieß es aus Brüssel. „Wenn man Kriminelle und Terroristen fangen will, muß man in der Lage sein, ihrem Geld zu folgen. Die heute vereinbarten neuen Regeln werden einen schnellen Zugang zu Finanzinformationen und eine reibungslosere Zusammenarbeit in ganz Europa gewährleisten, damit kein Krimineller oder Verdächtiger mehr unter dem Radar durchrutscht oder mit schmutzigem Geld davonkommt“, begrüßte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos die Einigung.

Mit moderner Technologie könnten Kriminelle und Terroristen innerhalb weniger Minuten Geld zwischen Finanzinstituten transferieren. Der Zugang der Strafverfolgungsbehörden zu Finanzinformationen sei oft zu langsam und umständlich, so daß sie Terroristen und Schwerkriminelle nicht ausreichend bekämpfen könnten, so Brüssels Eingeständnis. Doch künftig könnten nun Strafverfolgungsbehörden und Vermögensabschöpfungsstellen direkten Zugriff auf die in nationalen zentralisierten Registern enthaltenen Informationen über Bankkonten erhalten, so daß sie feststellen können, bei welchen Banken ein Verdächtiger über Konten verfügt. Parallel dazu sollen Datenschutzmaßnahmen gewährleisten, daß den Strafverfolgungsbehörden nur in bestimmten Fällen von schwerer Kriminalität oder Terrorismus begrenzte Informationen über die Identität des Kontoinhabers zur Verfügung gestellt werden. Die Richtlinie sieht außerdem eine bessere Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden, Europol und den Meldestellen für Geldwäsche-Verdachtsanzeigen (FIU) vor. Nach ihrem Inkrafttreten hatten die Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit, um die neuen Vorschriften in nationales Recht umzusetzen

Nach den aktuellen Terroranschlägen in Frankreich und Österreich ist der internationale Terrorismus wieder stärker auf die Agenda der politisch Verantwortlichen in der Europäischen Union gerückt. Strukturell müsse die EU noch stärker gemeinsam gegen Terror vorgehen, besagte eine gemeinsame deutsch-französische Erklärung Anfang November, als Reaktion auf die Ermordung zweier Menschen in Nizza.

Alexander Ritzmann, Terrorismus- und Sicherheitsforscher bei der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik, sagt, daß die Zeit des Redens vorbei sei. Terrorismus sei ein internationales Phänomen und brauche daher eine internationale Antwort. Terroristische Akteure koordinieren sich immer besser grenzübergreifend. „Anschläge werden im Ausland vorbereitet, Täter fliehen über Grenzen, Geldflüsse bilden ein Netzwerk aus internationalen Konten. Dagegen kommen Einzelstaaten nicht effektiv an.“ Also müßten sie ihr Wissen teilen. Das Problem: Die EU-Staaten, vor allem ihre jeweiligen Nachrichtendienste, mißtrauen einander teilweise. „Nachrichtendienste sind dafür bekannt, Informationen zu sammeln, nicht aber dafür, sie weiterzugeben“,  so Ritzmann gegenüber dem Nachrichtenportal Euractiv.

Zuvor hatte die Bundesregierung den von der Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der strafrechtlichen Bekämpfung der Geldwäsche beschlossen. Der Gesetzentwurf setzt somit die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates um (EU 2018/1673). „Erstmals kann jede Straftat Vortat der Geldwäsche sein, das ist ein Paradigmenwechsel,“ sagte Finanzminister Olaf Scholz. „Wir wollen den Kampf gegen Geldwäsche auch auf EU-Ebene verschärfen, indem wir die Regeln, die Aufsicht und den Informationsaustausch ausweiten und stärken.“ 

Jährlich 100 Milliarden Euro Schaden

Laut dem Minster wird durch den Verzicht auf den Vortatenkatalog die Kriminalitätsbekämpfung insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität, bei der Täter arbeitsteilig vorgehen und der Bezug zu bestimmten schweren Vortaten sich nicht immer feststellen läßt, effizienter. So etwa bei der Rückverfolgung von verdächtigen Finanztransfers. Das Ministerium erwartet deshalb eine steigende Anzahl von Fällen des Geldwäschestraftatbestands. Bisher kamen Delikte wie Diebstahl, Unterschlagung, Betrug, Untreue und Erpressung nur als Vortaten der Geldwäsche in Betracht, wenn diese gewerbsmäßig oder durch Banden begangen wurden.

Die Gesetzesnovelle soll europaweit die Terrorismusverfolgung erleichtern, dazu werden auch die Banken stärker mit einbezogen. Parallel dazu haben die Finanzaufsicht BaFin, die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) des Zolls und das Bundeskriminalamt zu diesem Zweck mit mehr als einem Dutzend Banken Ende September die Anti Financial Crime Alliance, die AFCA, gegründet. Im Mittelpunkt der Arbeit steht vor allem eines: der Austausch von Informationen. Laut BaFin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch beträgt das „gesamte Geldwäschevolumen im Finanz- und Nichtfinanzsektor Deutschlands deutlich über 50 Milliarden Euro und erreicht wahrscheinlich die Größenordnung von mehr als 100 Milliarden Euro jährlich“.

Er weist darauf hin, daß bei drohender Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung die Solidität, die Integrität und die Stabilität der Finanzinstitute schweren Schaden nehmen könnte. Es sei also im Interesse von Banken, nicht für Zwecke von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung mißbraucht zu werden. Schon aus dem Grund, um erhebliche finanzielle Schäden zu verhindern, die unter Umständen auch die Existenz einer Bank gefährden können. „Die jüngsten internationalen Geldwäscheskandale, wie etwa Russian Laundromat, Azerbaijan Laundromat, Troika Laundromat, Mirror Trades und Danske zeigen: Das Schadenspotential für einzelne Geldhäuser kann ein unkalkulierbares Ausmaß erreichen – und sogar zur Insolvenz einer Bank führen“, sagte Pötzsch.

 Kurz nach dem Wiener Attentat waren die EU-Finanzminister zu einem länger geplanten virtuellen Meinungsaustausch zusammengekommen. Bereits zum Jahresbeginn ist das aufgrund der fünften EU-Geldwäscherichtlinie novellierte Geldwäschegesetz in Kraft getreten. Es wurde um „wichtige Regelungen ergänzt, um das Rahmenwerk für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung weiter“ zu stärken.

Nun drückt die EU aufs Tempo. Mit dem neuen Gesetz gelten strengere und erweiterte Meldevorschriften für Immobilienmakler, Notare, Goldhändler, Auktionshäuser und Kunsthändler einschließlich Vermittler und Lageristen. Zudem werden Dienstleister aus dem Bereich von Kryptowährungen, Vermittler im Kunsthandel, Mietmakler und Lohnsteuerhilfevereine einbezogen. Die Öffentlichkeit erhält Zugang auf das bereits bestehende Transparenzregister, für das überdies erweiterte Eintragungs-, Mitteilungs- und Registrierungspflichten gelten. Weiterhin gelten vereinheitlichte verstärkte Sorgfaltspflichten bei Transaktionen mit Hochrisikoländern und erweiterte Kompetenzen beim Datenzugriff für die Geldwäschebekämpfungseinheit des Bundes FIU und die Strafverfolgungsbehörden.

Alle EU-Staaten müssen an einem Strang ziehen

Der Direktor der Europäischen Zentralbank (EZB), Fabio Panetta, hat im Kontext der Geldwäschenachverfolgung vor einer zunehmenden Abhängigkeit von nichteuropäischen Anbietern im digitalen Zahlungsverkehr gewarnt. Ein offener globaler Wettbewerb sei zwar entscheidend, um Neuerungen zu fördern, sagte Panetta. Doch eine übermäßige Abhängigkeit von privaten oder staatlichen Anbietern von digitalen Zahlungsmethoden aus dem Ausland könne negative Folgen haben. Lägen kritische Daten im Ausland, seien Staaten auf Technologien und Strukturen, die anderswo entworfen und kontrolliert werden, angewiesen, sagte Panetta. Auch Terroristen könnten hiervon profitieren. Doch noch immer verhindern nationale Sonderregelungen einen effektiven Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismus, klagt die EU.

Die Vielzahl der unterschiedlichen Ansätze und Gesetze in den EU-Mitgliedstaaten führe dazu, daß die Geldwäsche auf EU-Ebene nicht wirklich effektiv bekämpft werden kann. In vielen Fällen scheitert die Strafverfolgung noch immer an den Landesgrenzen, außerdem wenden viele EU-Staaten das EU-Recht kaum an.

Hier liegt nämlich das zentrale Problem. Für EU-Richtlinien gilt: Mitgliedstaaten müssen sie selbst in nationales Recht umwandeln und haben dabei einigen Gestaltungsfreiraum. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde Eba fordert seit Monaten eine Verschärfung: Die Geldwäsche-Experten halten es für nötig, ein Regelwerk aufzustellen, um den EU-Rechtsrahmen in eine direkt anwendbare Verordnung umzuwandeln.

Denn im Unterschied zur Richtlinie minimiert eine EU-Verordnung den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung: EU-Verordnungen werden in allen Mitgliedstaaten gleichzeitig sofort als Gesetz durchsetzbar. Würde aus der Richtlinie also eine Verordnung, so würde in allen 27 Mitgliedstaaten das gleiche Gesetz gelten. Durch die jüngsten Terroranschläge stehen die Zeichen nicht so schlecht, daß dieses Vorhaben gelingen könnte.





Financial Action Task Force (FATF)

Die Financial Action Task Force (FATF) ist ein international agierendes Gremium zur „Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“. Sie hat ihren Sitz bei der OECD in Paris. Die EU wirkt nach eigenen Angaben innerhalb der FATF aktiv daran mit, internationale Standards zu prägen. Die Kommission hat nach Berücksichtigung der neuesten Listen der FATF zwölf Länder neu in die EU-Liste aufgenommen. Auf Grundlage der „Compliance-Dokumente“ der FATF ist die Kommission zu der Auffassung gelangt‚ daß die Bahamas, Barbados, Botswana, Ghana, Jamaika, Kambodscha, Mauritius, die Mongolei, Myanmar, Nicaragua, Panama und Simbabwe Drittländer seien, die wesentliche Risiken für das EU-Finanzsystem darstellten. Diese Länder hätten sich nun aber dazu verpflichtet, einen mit der FATF vereinbarten Aktionsplan umzusetzen, um die Mängel anzugehen. Sechs Länder, die entsprechende Fortschritte gemacht hatten, wurden von der Liste gestrichen: Äthiopien, Bosnien-Herzegowina, Laos, Guyana, Sri Lanka und Tunesien. (ctw)