© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

Großsiedlungen – gescheiterte stadtplanerische Sicherheitsstrategie
Anonymität und Vereinzelung
(dg)

Die „Betonghettos“ der Großstadtsiedlungen gelten heute als architektonische Monstren, waren aber zwischen 1960 und 1970, dem „bundesrepublikanischen Jahrzehnt der Planbarkeit und Machbarkeit“, das sozialtechnologische Mittel der Wahl, um die „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ zu schaffen und die durch das Auseinanderklaffen der sozialen Schere drohende „neue Armut“ zu verhindern. Diese präventive „stadtplanerische Sicherheitsstrategie“ galt schon in den siebziger Jahren als gescheitert, wie die Greifswalder Historikerin Christine G. Krüger am Beispiel Hamburger Großwohnanlagen in ihrem Beitrag in der Vierteljahreszeitschrift Forum Stadt (3/2020) zeigt. Statt „gesellschaftliche Auflösungsprozesse“ aufzuhalten, seien sie dadurch forciert worden, daß Sozialämter bevorzugt „Problemgruppen“ dorthin abschoben – zunächst Deutsche, seit den Achtzigern, was Krüger aber unterschlägt, vermehrt Ausländer. Von den planerischen Visionen „selbstbestimmten Lebens“ in sozial befriedeten Gesellschaften blieb in der Monotonie, Anonymität und Verslumung vermeintlicher „Mustersiedlungen“ darum nichts übrig. Stattdessen schien sich die linke Architekturkritik zu bestätigen, die die Bauweise als Teil einer „repressiven Strategie des Staates“ attackierte, die das Ziel verfolge, Vereinzelung zu fördern, um zwecks Schwächung der politischen Kraft der Arbeiterschaft mit deren Altbauvierteln auch „gewachsene soziale Netzwerke zu zerstören“. So hätten „Betongebirge“ ihren Anteil am „Wertewandel“ fort von der solidarischen Gemeinschaft. Bürgerinitiativen, die sich dagegen stemmten, seien vom Verfassungsschutz observiert worden. 


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