© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

Das Gesetz der Staße aus dem Libanon
Ein arabischer Clan-Chef schildert sein Leben in Deutschland und das Wertebild im Milieu
Anett Harangi

Mahmoud Al-Zein, ein prominentes Clan-Oberhaupt einer der einflußreichsten Großfamilien im heutigen Deutschland, versucht mit seinem autobiographischen Werk einen Einblick in sein Leben und gleichzeitig einen Blick hinter die ClanKulissen zu geben. Damit trifft das Buch einen Nerv der Zeit: Arabische Clans beherrschen viele kriminelle Bereiche deutscher Großstädte, gerade die jüngsten, teilweise hilflosen Versuche der Staatsgewalt, diese Milieus zu zerschlagen, dominieren derzeit die Schlagzeilen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht von spektakulären Überfällen, Familien-Fehden oder von No-go-Areas berichtet wird. 

Geschlagen mit dem Namen „Pate von Berlin“, den er selbst nie wollte, möchte Al-Zein gerade die jüngere Generation der Einwanderer, die 2015 in die Bundesrepublik strömten, vor dem Preis der Macht warnen und rät davon  ab, seinen Weg einzuschlagen. Denn ein libanesisches Sprichwort besage: „Leben heißt borgen und zurückzahlen.“ 

Der Autor beginnt mit dem Ende seiner Biographie, indem er die Stunden vor seinem „Sturz von Kripo und Presse“, wie er es selbst nannte, darstellt und den roten Faden seiner Selbstdarstellung vorgibt. Für ihn zähle nur, daß er seinen eigenen Prinzipien treu bleibe und damit seinen Einfluß geltend mache. Schon in dieser Einleitung wird deutlich, daß er die Regeln in Deutschland nie so richtig verstanden hat.

In vier Abschnitte unterteilt, erzählt Al-Zein von seinem gesetzlosen und gefährlichen Leben im Libanon kurz vor seiner Ankunft in Berlin des geteilten Deutschlands 1982, wie er über die Jahre zu Macht kam, wie er sie wieder verlor und von den Tagen der Abrechnung. Diese „Abrechnung“ betreibt er nicht nur mit Kontrahenten, sondern deutet diese auch mit der Stadt Berlin und dem deutschen Staat an, dem er hinsichtlich der Integration hier lebender Einwanderer ein absolutes Versagen vorwirft.

Er thematisiert dabei den dreißig  Jahre andauernden Kampf mit deutschen Behörden, die ihm bis heute nur eine Duldung gewähren. Al-Zein wirft ihnen vor, statt Menschen nur Bürokratie zu sehen. Daß er dabei mit Pauschalurteilen gegen die Administration nicht geizt und seine eigene Rolle nicht reflektiert, ist auffällig. Das Hauptaugenmerk des Buches gilt aber seinem Leben in der Parallelgesellschaft mitten in Berlin, die der bundesdeutschen Gesellschaft doch so fern ist. Hier wurde er stets angespornt, sein Leben, wie er es schon aus dem Libanon kannte, fortzuführen und auszubauen, nur ohne die Bedingungen des Bürgerkrieges. Es war ein anderer Krieg, aber das ihm von dort geläufige Gesetz war auch hier anwendbar – das Gesetz der Straße.

Dabei schildert er detailreich brutale Massenschlägereien, gibt einen tiefen Einblick in Bandenkriege und macht deutlich, was es heißt, dem täglichen Kampf um die Vormacht auf der Straße ausgesetzt zu sein. Er selbst behauptet, daß dabei die Herkunft der Menschen keine zentrale Rolle für ihn gespielt habe. Al-Zein sieht sich als eine Art Heilsbringer, ein Verteidiger der Schwachen, Verfechter der Familie und der eigenen Gerechtigkeit, die er mit seinen eigenen Gesetzen zur Geltung bringt. Diese stehen über der staatlichen Ordnung. Es gilt das ihm aus seinem Herkunftsland bekannte Gewohnheitsrecht, was dem „Codex Hammurabi“ nicht unähnlich ist. Blut wird mit Blut vergolten. Ein Geben und ein Nehmen, Leben oder Tod, Ordnung oder Anarchie, tief verwurzelt in den Generationen vor und nach ihm. Hier liegt der Grund für die Uneinsichtigkeit, hier herrschende Werte zu akzeptieren, womit das von ihm beklagte Scheitern seiner Integration von vornherein klar war.

Der Inhalt des Buches ist eine Bestätigung vieler bereits bekannter Strukturen innerhalb solcher Familienclans, geprägt von Tradition und Vorurteilen. Sie spiegeln Verhaltensweisen und Charakterzüge der Protagonisten wider, die aus vielen Medienberichten bekannt sein dürften. Dabei kritisiert Al-Zein die deutschen Medien aufs schärfste und wirft ihnen vor, ständig ein verzerrtes und verlogenes Bild darzustellen. 

Da der Staat versagt, spielt er die Ordnungsmacht 

Dieses Unverständnis weise auch der Staat auf, der ihn dreimal zu Unrecht verurteilt habe. Dabei habe er „vermeintliche“ kriminelle Aktivitäten nur um des Friedens und der Ordnung Willen zugegeben. Aus seiner Sicht diente alles nur der Wahrung der Sicherheit, denn er sieht sich selbst mehr als Ordnungsmacht statt als Kriminellen. Diese Rolle müse er ausfüllen, denn der Staat sei handlungsunfähig und sein Umfeld verlange nach Autorität. Diese sei eben nur durch hartes Durchgreifen herzustellen. Alles andere sei Verrat und ein Zeichen der Schwäche. Dabei sei Gewalt, die er eigentlich ablehne, als Ultima ratio statthaft. 

Die Darstellung des „Paten von Berlin“ ist interessant und lesenswert, um die andere Sicht auf das arabische Clan-milieu zu erfassen und die teilweise archaische Erfahrungswelt Al-Zeins kennenzulernen. Dabei wird deutlich, daß er die Prägungen aus dem Libanon auf sein Denken, Handeln und Fühlen nie ablegen konnte. 

Mahmoud Al-Zein: Der Pate von Berlin. Mein Weg, meine Familie, meine Regeln. Droemer Verlag, München 2020, gebunden, 256 Seiten, 20 Euro