© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 49/20 / 27. November 2020

Kabinenklatsch
Jogi, bitte geh!
Ronald Berthold

Wollen wir das Debakel positiv sehen? Gott sei Dank hat „Die Mannschaft“ nichts mehr mit Deutschland zu tun. Traurig aber bleibt: Von allen Identitätswerten entkernt, ist die einstige Nationalelf eine einzige Katastrophe. Höher als gegen Spanien hatte der DFB zuletzt 1909 verloren – 0:9 gegen die damalige Weltmacht England.

Und was machen die Sportjournalisten? Sie haben von ihren Kollegen in der Politik gelernt: Bohrende Fragen waren gestern. Der Bundestrainer fährt gerade ein Aushängeschild der Nation gegen die Wand, und das heftigste, was er sich in der ARD anhören muß, ist die Frage, ob er noch „Lust“ habe. Gott, der Arme!

Ist es nicht rührend, wie sich der Staatsfunk sorgt, ob unser Jogi vielleicht ein bißchen traurig ist? Vor der Glotze saßen zwar nur 7,3 Millionen, dafür aber wütende Fans, und kein Reporter stellte nach dem 0:6 die Frage, die allen auf den Nägeln brennt: „Wann treten Sie zurück, Herr Löw?“

Neben der Wut über den Bundestrainer wächst der Zorn auf die Medien.

Selbst Bastian Schweinsteiger wurde auf Linie gebracht. Löw habe „die Erfahrung und die Klasse“, das Ruder herumzureißen, meinte er. Im Fernsehen Sätze sagen zu müssen, die man selbst nicht glaubt, ist der Gipfel eines unwürdigen Schauspiels, das vom Umgang mit der Staats- auf den mit der Sportführung übergegangen ist.

Deswegen ist neben der Wut über den Bundestrainer und den „Politiker“ an dessen Seite, Oliver Bierhoff, auch Zorn auf die Medien überfällig. Für die einen ist Konsequenzen zu tragen tabu, für die anderen Kritik. Dafür wäre Anstand nötig. Die Nationalmannschaft ist nicht das private Spielzeug von Löw und Bierhoff. Es ist das Identifikationsmuster für Millionen Deutsche. Wer einen Funken Respekt vor den Fans hätte, wäre bereits nach dem blamablen WM-Vorrundenaus mit einer demütigen Entschuldigung abgetreten.

Wer auch nach einer historischen Niederlage nicht mal den Gedanken an einen Abgang zuläßt, ist – wie es die Politik vorlebt – deutsch im Sinne des 21. Jahrhunderts: Nichts leisten, Geld anderer kassieren, mit moralischen Botschaften nerven und den Menschen die Freude nehmen.