© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Wer bestellt, muß zahlen
Corona: Über die Rolle von Bund und Ländern liegen in der Union die Nerven blank
Jörg Kürschner

Für viele überraschend zettelte ausgerechnet CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus einen Streit über die Lockdown- und Schuldenpolitik der Bundesregierung an. Einen Tag nach dem über siebenstündigen Verhandlungsmarathon mit den 16 Länderchefs wurden die Bundestagsabgeordneten zunächst Zeugen des verabredeten Rollenspiels zwischen Kanzlerin und Kanzleramtschef. Während Merkel die bekannten Ergebnisse der Bund-Länder-Runde referierte, war Helge Braun für die Abteilung Unangenehmes zuständig. Der CDU-Politiker machte deutlich, daß es den gesamten Winter über Corona-Einschränkungen und Kontaktbeschränkungen geben werde. „Das geht bis März“, so Braun. Erst dann seien mehr Menschen geimpft und die Lage könne sich wieder entspannen. FDP-Fraktionschef Christian Lindner zeigte sich empört: „Die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Pandemie-Bekämpfung explodieren, jedenfalls ist das keine langfristig durchhaltbare Strategie.“

Kosten und Strategie sind die Schlüsselbegriffe bald ein Jahr nach Beginn der Pandemie. An Merkel gewandt, sprach Brinkhaus Klartext: „Es gibt einen Bereich, Frau Bundeskanzlerin, der ist nicht in Ordnung.“ Bund und Länder hatten sich für den Haushalt 2021 darauf geeinigt, statt 96 mehr als 160 Milliarden neue Corona-Schulden aufzunehmen. Auf welcher Rechtsgrundlage, wollte Brinkhaus von Merkel wissen. Und er stellte klar: „Das Haushalts- und Budgetrecht hat der Bundestag.“ Stichwort Lastenteilung.  Er erwarte, daß die Länder „nicht immer nur Beschlüsse fassen und dann dem Bund die Rechnung präsentieren“.

Ein parteiübergreifender Sturm der Empörung der Ministerpräsidenten war die Folge, der auch das CDU-Präsidium erfaßte. Hessens Regierungschef Volker Bouffier suchte die Konfrontation mit Brinkhaus: „Ich fordere Sie auf, sich in Zukunft zu mäßigen.“ Dessen Vorwürfe hätten ihn „persönlich getroffen“. Und wieder fiel Braun die Rolle des Überbringers unangenehmer Nachrichten zu. Der Kanzleramtschef kündigte zu Wochenbeginn ein Ende großzügiger Corona-Hilfe an: „Der Staat ist nicht unbegrenzt handlungsfähig.“  Ab Januar solle Unternehmen nicht mehr pauschal der Umsatz ersetzt werden. Zugleich schloß er ein weiteres Konjunkturprogramm für 2021 nicht aus. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) forderte wie Lindner neue Konzepte schon ab Januar. „Noch ein weiteres Jahr wie dieses halten Gesellschaft und Wirtschaft nicht durch.“ Man könne nicht auf Dauer alles schließen, „und der Staat bezahlt Monat für Monat Milliarden-Ausfälle“.

Mitte Dezember über Lockerungen entscheiden 

Der Bund plant als „November-Hilfen“ für die betroffenen Betriebe bisher rund 14 bis 15 Milliarden Euro ein. Damit sollen Umsatzausfälle in Höhe von bis zu 75 Prozent des durchschnittlichen Umsatzes erstattet werden. Von voraussichtlich 17 Milliarden Euro Finanzhilfen ist für Dezember die Rede. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband kritisierte den Streit zwischen Bund und Ländern. „Es kann nicht sein, daß die Hilfen am Ende im Föderalismus zerstückelt werden, weil sich einzelne Bundesländer die Zahlungen nicht leisten können und dort Betriebe unverschuldet pleite gehen“, betonte Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. Bisher sei noch kein einziger Euro aus der Novemberhilfe in den Kassen der Betriebe angekommen. Unterdessen hat sich die Koalition auf eine „Home-Office-Pauschale“ von fünf Euro pro Tag bei höchstens 600 Euro für 2020 geeinigt. Im Wirtschaftsministerium wird allerdings eingeräumt, daß alternativ eine Anerkennung als Arbeitszimmer durch das Finanzamt steuerlich deutlich attraktiver ist.

Mit Sorge blicken Koalitionspolitiker auf die Zahl der täglichen Neuinfektionen, die trotz der Vollbremsung seit Anfang November nur quälend langsam sinkt. Seit Monatsbeginn sind private Zusammenkünfte auf maximal fünf Personen aus dem eigenen und einem weiteren Haushalt begrenzt. Kinder bis 14 Jahre werden nicht mitgezählt. Diese Regelungen sollen für die Tage um Weihnachten leicht gemildert werden: Ab dem 23. Dezember und höchstens bis zum 1. Januar sollen zehn Personen im Familien- und Freundeskreis zusammenkommen können. Ob es bei diesen Lockerungen bleibt, wird sich am 15. Dezember entscheiden, der nächsten Konferenz der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten. Die Haltung der Länder scheint uneinheitlich. Es gibt einerseits erste Stimmen, die für neue Verschärfungen plädieren. Möglicherweise müsse man „im Zweifelsfall aus dem Verlängern und Vertiefen ein Mehr an Vertiefen machen“, orakelte Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU). Andererseits wollen mehrere Länder in der Weihnachtszeit Hotelübernachtungen für Familienbesuche zulassen, was von Merkel scharf kritisiert worden ist. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hielt dagegen. Es entspreche nicht seiner Vorstellung von Gerechtigkeit, wenn nur Besitzer eines Einfamilienhauses mit ausreichend Platz über die Feiertage Besuch empfangen könnten.

Die oft angemahnte Langfriststrategie dürfte wesentlich davon geprägt sein, ab wann ein Impfstoff zur Verfügung steht. Mehrere Pharmafirmen haben bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur die Zulassung für ihren Impfstoff beantragt. Spätestens am 29. Dezember soll die Entscheidung fallen. Hoffnung versuchte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zu vermitteln. Ab Januar könnten „die ersten Risikogruppen und Pflegebeschäftigen geimpft“ werden. Gleichwohl erwarten 79 Prozent der Menschen eine erneute Verlängerung der Einschränkungen, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa ergeben hat.