© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Überschrift? Verweigert
Paul Rosen

Ein Schlüsselwort beim 3. Untersuchungsausschuß des Bundestags heißt „Aussageverweigerung“. Reihenweise berufen sich Zeugen auf ein Recht zur Verweigerung der Aussage, wenn sie von den Abgeordneten zum Zusammenbruch des Wirecard-Konzerns befragt werden sollen. Der Ausschuß soll die Hintergründe des Zusammenbruchs des Zahlungsdienstleisters Wirecard AG untersuchen. Der Firmenname steht heute für den größten Finanzskandal der Bundesrepublik. Vorher stand er für Innovation und Digitalisierung. In den Augen vieler Anleger schien Wirecard das erfolgreichste „FinTech“ Deutschlands zu sein. Diese Anleger verloren ihr gesamtes Kapital.

Wenn sich die Geschädigten und die interessierte Öffentlichkeit Aufklärung durch die ersten Vernehmungen erhofft hatten, so wurden sie enttäuscht. Der Ausschuß schrieb zwar Politikgeschichte, indem er erstmals einen in Untersuchungshaft sitzenden Konzernchef in den Bundestag zur Befragung holte. Doch der frühere Wirecard-Vorstandsvorsitzende Markus Braun berief sich auf sein Recht, die Aussage zu verweigern, wenn er sich dadurch selbst belasten könne. Alle Fakten rund um Wirecard würden aber ein mosaikartiges Gesamtbild ergeben, so daß jede Angabe strafrechtlich relevant sein könne. „Ich werde mich nicht über diese Erklärung hinaus äußern“, sagte Braun auf die Vernehmungsversuche der Ausschußmitglieder. 

Damit bestehen Zweifel, ob der Untersuchungsausschuß in die inneren Strukturen des einstigen Dax-Konzerns eindringen kann, in dem laut Münchener Staatsanwaltschaft ein System mit „militärisch-kameradschaftlichem Korpsgeist und Treueschwüren untereinander“ geherrscht haben soll. Denn auch die ersten Vernehmungen von Wirtschaftsprüfern aus der Unternehmensberatungs- und Prüffirma EY brachten nichts: Gleich vier geladene Zeugen aus dem Unternehmen verweigerten die Aussage und sprachen von der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung, wenn sie sich nicht an ihre Verschwiegenheitspflicht halten würden. Auch die vom Ausschuß gegen zwei Zeugen verhängten Ordnungsgelder von je 1.000 Euro änderten nichts. Von der Verschwiegenheitspflicht waren sie zwar vom Insolvenzverwalter entbunden worden, aber die Prüfer wollen auch eine Entbindung von dieser Verschwiegenheitspflicht durch den früheren Vorstand – also von Braun. Die andere Schlüsselfigur, Jan Marsalek, ist auf der Flucht.

Möglicherweise sind die Befürchtungen von EY-Mitarbeitern, sie könnten sich belasten, nicht ganz unberechtigt. Denn die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die mit einer Untersuchung das Wirecard-Kartenhaus schließlich zum Einsturz brachte, förderte zahlreiche Unregelmäßigkeiten aus den Jahren zutage, in denen EY ein uneingeschränktes Testat für die Wirecard-Abschlüsse ausgestellt hatte. KPMG-Mitarbeiter Alexander Geschonneck schilderte im Ausschuß, daß ihm und seinen Mitarbeitern die Arbeit bei Wirecard massiv erschwert worden sei. Er sprach von zahlreichen Untersuchungshemmnissen – eine Erfahrung, die jetzt auch die Ausschußmitglieder machen.