© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Nicht klagen, sondern handeln
Das Handwerk und seine Nachwuchssorgen: Nach dem Zentralverband ZDH geht nun das Familienunternehmen Brillux in die Offensive
Josef Hämmerling

Handwerk hat goldenen Boden, heißt ein altes deutsches Sprichwort. Doch trotz großer Nachfrage fehlen nach wie vor Tausende Fachkräfte. So waren nach Angaben des Generalsekretärs des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, in einem Interview mit der Bild Ende September noch rund 24.000 Ausbildungsplätze unbesetzt. „Aktuell sind zum Beispiel noch viele Lehrstellen offen für angehende Anlagenmechaniker SHK, Elektroniker, Kfz-Mechatroniker, Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk oder Metallbauer. Aber auch in vielen weiteren Handwerksberufen gibt es auch jetzt noch freie Plätze. Wichtig für Jugendliche: Eine Ausbildung kann auch im November oder Dezember noch begonnen werden.“

Spiele-App und Rapper sollen für Nachwuchs sorgen

Mit diesen Problemen kämpft auch der Lack- und Farbenhersteller Brillux aus Münster, ein Familienunternehmen der vierten Generation. Aus diesem Grund hat die Firma gemeinsam mit dem Handwerk die Initiative „Die Zukunft ist bunt“ gestartet. Vorrangiges Ziel ist es, junge Männer und Frauen für eine Ausbildung als Maler und Lackierer oder Stuckateur zu begeistern. 

Daneben sollen Betriebe mit vielfältigen Maßnahmen dabei unterstützt werden, sich dem potentiellen Nachwuchs als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Nicht zuletzt ist es das Ziel, das Image des Maler- und Stuckateurhandwerks auch insgesamt zu verbessern. Überhaupt steht eine Ausbildung im Handwerk bei Jugendlichen nicht auf den vorderen Plätzen. Und das, obwohl gerade diese Arbeitsplätze besonders zukunftssicher und auch gut bezahlt sind.

Dieses Ziel soll auf mehreren Wegen erreicht werden. So zum Beispiel auch durch eine Kooperation mit dem Onlinedienst Azubiyo. Dieser ist, wie er sich selbst nennt, eine „Jobbörse zum Karrierestart“, auf der man nicht nur bundesweit freie Ausbildungsplätze aus allen Bereichen finden kann, sondern auch freie duale Studienplätze. Betriebe haben ab sofort die Gelegenheit, eine   professionelle und individualisierte Ausbildungsanzeige im „Deine Zukunft ist bunt“-Design auf Azubiyo zu veröffentlichen. Dadurch sollen das eigene Ausbildungsmarketing gestärkt und passende Bewerbungen generiert werden. Um möglichst viele Unternehmen für diesen Service begeistern zu können, ist die Nutzung bei einer Aktivierung bis zum 30. Juni 2021 kostenlos, ab dem 1. Juli 2021 werden 50 Euro pro Ausbildungsanzeige berechnet.

Ein weiteres Kernelement von „Deine Zukunft ist bunt“ bildet die gleichnamige Webseite, die die Zielgruppen Jugendliche, Eltern und Lehrer umfassend über die Berufsbilder im Maler- und Stucka-teurhandwerk informiert. Wesentlicher Bestandteil der Aktion ist die kostenlose Ausbildungs- und Praktikumsbörse: Handwerksbetriebe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben hier die Möglichkeit, sich zu registrieren und sich als kompetente Ausbildungsstätte zu präsentieren. Konkrete Ansprechpartner für Bewerbungen können ebenfalls direkt benannt werden. Über die interaktive Landkarte mit praktischer Zoomfunktion sowie über die konkrete Adreßeingabe können sich Interessenten ganz leicht über die ausbildenden Handwerksbetriebe in ihrer Nähe informieren und gegebenenfalls direkt Kontakt aufnehmen. So wird die Ausbildungs- und Praktikumsbörse zu einem Karriereportal, das Betriebe und Bewerber unkompliziert miteinander verbindet. 

Für die sogenannte „Generation Z“, die zunehmend mit digitalen Medien aufwächst, wurde auch die Spiele-App „Buntes Battle“ entwickelt. Bei dieser App muß man Farbe mischen, Geschicklichkeit beweisen und sein Wissen bei einem Quiz unter Beweis stellen. So soll ein erstes Interesse bei den Jugendlichen geweckt werden, sich vertiefender zu informieren und einen der Ausbildungsberufe als eine mögliche Option für den eigenen beruflichen Weg zu erkennen.

Weiteres Interesse sollen zwei knallbunte, 20 Meter lange und 36 Tonnen schwere Lkw wecken, die mit der Aufschrift „Deine Zukunft ist bunt“ zu Veranstaltungen kreuz und quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz fahren – was Corona aber laut der Pressestelle gerade verhindert.  Deren einziges Ziel: jungen Menschen das Maler- und Stuckateurhandwerk möglichst anschaulich näherzubringen. In dem mit Informationen prall gefüllten Truck können sich Interessenten an mehreren Stationen sowohl theoretisch als auch praktisch über dieses Handwerk informieren. 

Gleichzeitig steht der Lastkraftwagen auch Verbänden, Innungen und Kreishandwerkerschaften für ihre Veranstaltungen zur Verfügung. Und auch für Messen und andere Veranstaltungen bietet „Deine Zukunft ist bunt“ einen hierfür eigens konzipierten Stand an. Nicht zuletzt will Brillux die Jugendlichen auch in den Sozialen Medien für ihr Handwerk begeistern. Hierfür wurde der deutsche Rapper Sammy Deluxe gewonnen, der in Videos auf Facebook und Youtube Jugendliche für den Maler- und Stuckateurberuf begeistern soll.

Das ist auch dringend notwendig. Denn „das Handwerk sucht weiterhin händeringend Fachkräfte“, so Schwannecke. Durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie habe auch der Ausbildungsmarkt deutlich Schlagseite bekommen. Der Lockdown sei mit dem Frühjahr in eine Zeit gefallen, in der sonst die Anbahnung neuer Ausbildungsverträge stattgefunden habe. „Durch den Lockdown und in der Folgezeit konnten zum Beispiel Ausbildungsmessen, schulische Berufsorientierung oder andere Kennenlernformate nicht stattfinden, konnten Betriebe weniger in Kontakt mit dem Nachwuchs kommen“, was die ganze Situation verschlimmert habe, sagte Schwannecke weiter. 

Keine Jugend – keine Fachkräfte

Nach den Worten von ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer muß man heute bei der Beauftragung eines Handwerkers, der die Wohnung renovieren soll, bis zu zehn Wochen warten. „Ähnliche Wartezeiten gibt es derzeit bei allen Baugewerken, also etwa bei Elektrikern, Klempnern, Tischlern oder Fliesenlegern.“ Rund um den Bau hätten die Betriebe besonders gut zu tun, weil aufgrund der niedrigen Zinsen und des verbreiteten Wohnungsmangels der Wohnungsbau brumme. „Es könnte im Handwerk sogar noch besser laufen, aber für unsere Betriebe ist es momentan schwierig, ihre Kapazitäten auszuweiten“, so Wollseifer. Das liege vor allem daran, daß einfach nicht genügend Fachkräfte zu finden seien, die eingestellt werden könnten. Jugendliche, die jetzt noch keine Lehrstelle hätten und sich zum Handwerker ausbilden lassen wollen, könnten in fast jeder Branche noch einen Platz bekommen. „Uns ist jeder willkommen, der ausbildungswillig und -fähig ist und sich engagieren möchte“, betonte der ZDH-Präsident. Belastend wirke sich auch die demographische Entwicklung aus. So gebe es heute gut 120.000 Schulabgänger weniger als noch vor zehn Jahren. Zugleich werde der Drang zu höheren Bildungsabschlüssen immer größer. 

Mehr als die Hälfte jedes Jahrganges entscheide sich inzwischen für ein Studium. In vielen Familien sei man heute der Ansicht, daß die Kinder unbedingt studieren müßten, damit es ihnen später gut geh. Wollseifer: „Ich habe meine Zweifel, daß ein Studium etwa der Archäologie, Philosophie oder Soziologie die Leute in jedem Fall für ihre Zukunft besser absichert als eine Ausbildung im Handwerk.“

Nach einer Umfrage der Sozialkassen der Bauwirtschaft (Soka-Bau) waren im August noch bei der Hälfte der Ausbildungsbetriebe im Bau Ausbildungsplätze frei. Einem Bericht der Bauwirtschaftsinternetseite www.meistertipp.de zufolge ist die Baubranche nach wie vor bei jungen Leuten sehr unbeliebt: „Das liegt in erster Linie an den Rahmenbedingungen. Für die meisten ist der Arbeitsbeginn zu früh. Außerdem wechseln die Einsatzorte ständig, und lange Pendelstrecken werden von den Arbeitgebern nicht bezahlt. Das macht eine Ausbildung am Bau nicht unbedingt attraktiv. Hinzu kommt der barsche Umgangston auf den Baustellen. Außerdem lassen sich am Bau Familie, Freizeit und Arbeit nur schwer miteinander vereinbaren.“ Während die IG Bau das über die Bezahlung regeln will, so etwa 100 Euro mehr für jeden Auszubildenden und Geld für den Weg zur Baustelle, greift das nach Ansicht anderer zu kurz. 

Schließlich sei die Ausbildungsvergütung im Bau schon heute deutlich höher als in anderen Branchen. Vielmehr habe eine Umfrage bei Jugendlichen ergeben, daß die wichtigsten Gründe bei der Berufswahl „vielmehr die Karrieremöglichkeiten, die gesellschaftliche Anerkennung und eine abwechslungsreiche Tätigkeit“ seien. Zwar biete das auch die Baubranche, was allerdings in der Öffentlichkeit noch zu wenig bekannt sei. 

Quereinsteiger sind jederzeit willkommen

Den Angaben von www.meistertipp.de zufolge sei die Situation noch nicht kritisch. „Personelle Lücken konnten bisher mit arbeitslosen Bauarbeitern und ausländischen Kräften geschlossen werden. Das könnte sich aber bald ändern, wenn es den Unternehmen nicht gelingt, Nachwuchs an Land zu ziehen. Viele Unternehmen stehen schon bald vor einem Generationswechsel.“

Unter dem Hashtag #wirwissenwaswirtun wirbt auch der Deutsche Handwerkskammertag (DHKT) für mehr Nachwuchs. Der DHKT weist darauf hin, daß die Handwerker nur auf den ersten Blick etwas für andere machten. Vielmehr stelle man etwas her, das zum einen gebraucht werde und zum anderen bis weit in die Zukunft andauere. Auch könne dieses nur gemeinsam erreicht werden. In dem „Lehrstellenradar“ gibt der DKHT ausführliche Ratschläge, für wen welcher Ausbildungsberuf am besten geeignet ist und was für Möglichkeiten nach Ende der Ausbildung offenstehen. Zudem weisen alle Handwerksverbände darauf hin, daß Quereinsteiger jederzeit herzlich willkommen sind.





Brillux-Aktion: Betrieb trifft Schule 

Mit der Aktion „Betrieb trifft Schule“ will der deutsche Lack- und Farbenhersteller Brillux Schulen mit Betrieben zusammenbringen. Dabei soll bei einer gemeinsamen Streichaktion nicht nur ein Klassenzimmer auf Vordermann gebracht werden. Ziel dabei ist, daß die Schüler hautnah mit dem Maler- und Stuckateurberuf in Berührung kommen und so ausprobieren können, ob ihnen diese Tätigkeit liegt. Wie läuft das ab? Die Aktion will Handwerker mit einer Schule in deren Region zusammenbringen.  „Wir stellen für den Tag eine Auswahl an Materialien zur Verfügung. Sie unterstützen die Aktion durch Ihre Arbeitskraft und Ihre Zeit. Ihre Chance: Kommen Sie mit potentiellen Azubis ins Gespräch und vermitteln Sie Ihre Leidenschaft für den Beruf. Außerdem können Sie Ihre Arbeit bekannter machen.“ Bonbon bei der Aktion: Für die beste Dokumentation haben die Gewinner die Chance einen Tag mit dem Rapper Samy Deluxe und seinem Verein „DeluxeKidz“ zu erleben – letzter Einreichtermin dafür ist der 31. Mai 2021. (ctw)