© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Der Conférencier der Nation
Vor 25 Jahren etablierte Harald Schmidt die „Late Night Show“: Heutige Formate reichen da nicht heran
Boris T. Kaiser

Viel zu feiern gibt es wahrlich nicht im Corona-Jahr 2020. Ein Jubiläum sollte man dennoch keinesfalls unbeachtet vorüberziehen lassen, obgleich auch dieses von bitteren Wermutstropfen des Vergangenen getrübt wird. Vor 25 Jahren flimmerte Entertainer Harald Schmidt erstmals mit seiner bis heute legendären Late Night Show in die Wohnzimmer der Republik, um das Genre in Deutschland auf den TV-Plan zu setzen und zu etablieren. Der Kabarettist, dessen Vater aus Böhmen und Mutter aus Mähren vertrieben wurden, wechselte damals vom öffentlich-rechtlichen WDR, wo er gemeinsam mit dem kürzlich verstorbenen Herbert Feuerstein das Kultformat „Schmidteinander“ moderierte, zum Privatsender Sat.1.

Der war zu dieser Zeit noch mehr als nur eine Abspielstation für die immer gleichen US-Serien. Mit frischen Gesichtern und eigenen Formaten fuhr das werbefinanzierte Unterhaltungsunternehmen einen bewußten Frontalangriff auf die gebührenfinanzierte Konkurrenz. Am 5. Dezember 1995 wurde die erste Folge der „Harald Schmidt Show“ ausgestrahlt und erreichte mit 1,96 Millionen Zuschauern einen Marktanteil von 13,9 Prozent. Schmidts Vorbilder waren klar, auch wenn sie hierzulande damals noch kaum einer kannte. Johnny Carson, Jay Leno und David Letterman waren die Genre-Giganten aus den USA, an denen sich der in Nürtingen aufgewachsene Katholik orientierte. Letzterem widmete er sogar eine eigene Figur in seiner auch optisch eindeutig aus Amerika inspirierten Sendung: ein Schreibtisch, eine nächtliche Skyline, eine Band. Wenn „Dirty Harry“, wie Schmidt sich image-stärkend eine Zeitlang nennen ließ, die Zuschauerpost gebracht bekam, kündigte dieser das stets mit den Worten an: „Briefe bringt bei uns nicht irgendwer. Die Briefe bringt bei uns der Letterman!“

Viele „Sidekicks“ sind nun Moderatoren

Einen anderen ganz großen US-Late-Night-Talker hatte der Satiriker und  fünffache Vater sogar mal bei sich zu Gast. Conan O’Brien stattete seinem deutschen Kollegen 1997 einen Besuch ab. Nicht ohne zu bemerken, daß ihm vieles in der Show ziemlich bekannt vorkomme. Aus den Vereinigten Staaten hat der studierte Schauspieler Schmidt auch das Prinzip des sogenannten „Sidekick“ übernommen. Ein Bühnenpartner, zu dessen Hauptaufgaben es gehört, dem Publikum die Gags „anzulachen“, damit auch wirklich jeder kapiert, wo genau die Pointe war. Nicht selten ist er dabei selbst das Ziel des von ihm belachten Spottes. 

Der Sidekick ist jedoch nicht nur unterwürfige Grinsebacke und intellektueller Hilfskoch. Vielmehr ist er so etwas wie der Küchenchef, der dafür sorgt, daß der „Conférencier“ – so die Berufsbezeichnung, die Schmidt sich selbst am liebsten gibt – die von ihm und den Autoren vorbereiteten Pointen perfekt servieren kann. Unvergessen in dieser Rolle: Manuel Andrack, der wanderbegeisterte Redaktionsleiter der Show, mit dem Schmidt sich über die neuesten Liebschaften von Dieter Bohlen genauso ausgelassen unterhalten konnte wie über den aktuellen sportlichen Zustand der Fußballnationalmannschaft oder das Wirken von Charles Darwin.

Es war diese Themenbreite, die den vielleicht letzten großen Universalgelehrten der deutschen Fernsehunterhaltung allen seinen Konkurrenten und Nachfolgern überlegen machte – und die Schmidt selbst am Ende zum Verhängnis wurde. Die neue Zuschauergeneration, die nur noch in ihren abgeschotteten politischen, sozialen und kulturellen Blasen lebt und sich jegliches Wissen, das über die eigenen, meist sehr eng gefaßten Interessen hinausgeht, allenfalls noch ergoogelt, verstand den intellektuellen Zyniker und seine Mischung aus geistreich aufgearbeiteten Trivialitäten und verdaulich servierter Hochkultur einfach nicht mehr. 

Schmidts Nachahmer haben sich daher auch immer mehr von diesen Grundprinzipien entfernt. Viele, die dennoch versuchten auf Harald Schmidt zu machen, sind mit ihren Late-Night-Experimenten gescheitert: Anke Engelke, Niels Ruf und Olli Pocher, mit dem Schmidt, nach seiner vorübergehenden Rückkehr zur ARD und in einer Zeit, die er selbst später als  Phase der „geistigen Umnachtung“ beschrieb, kurzzeitig sogar gemeinsam moderierte. Der ehemalige Schmidt-Mitarbeiter Pierre M. Krause dagegen wird mit seiner „SWR3 Latenight“ seit 15 Jahren und über 600 Episoden im dritten Programm versteckt. 

Andere aktuelle Versuche wie das von Stefan Raab produzierte „Täglich frisch geröstet“ beim RTL-Streamingdienst TVNow oder Luke Mockriges „Greatnightshow“ auf Sat.1 erinnern mehr an Spiele- und Musikshows. Benjamin von Stuckrad-Barre, einst als Autor bei Schmidt tätig, hielt mit seiner eigenen vor zehn Jahren gestarteten Show immerhin 53 Folgen bei ZDFneo und Tele5 durch und hatte mit Nikolaus Blome oder Markus Feldenkirchen journalistische Schwergewichte als Sidekicks an seiner Seite.

Wer allerdings heute „Late Night“ macht, setzt ganz bewußt auf die eigene politisch korrekte Haltungsblase. Das zeigen in den USA Entertainer wie der Trump-Hasser Jimmy Kimmel und hierzulande Moderatoren mit Aktivismus-Attitüde wie Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in den ProSieben-Sendungen „Circus HalliGalli“ und „Late Night Berlin“. Auch Jan Böhmermann, früher selbst Schmidt-Assistent, bietet mit seiner Anfang November gestarteten Hauptprogramm-Show „ZDF Magazin Royal“ neben links-ideologischen Seitenhieben und ausgelutschten Verschwörungsgeschichten kaum etwas Neues. 

„Ich wußte schon früh, daß es Böhmermann als Moderator nie schaffen würde. Aber daß er es als Krawallschachtel sehr weit bringen würde, wußte ich auch“, bilanzierte Schmidt bereits vergangenes Jahr gegenüber den Stuttgarter Nachrichten und kritisierte gleichzeitig, daß „Late Night“-Programme nicht mehr täglich laufen, obwohl das Konzept dies verlange. 

In Haltungsblasen verrannt

„Beim ZDF kotzt man doch im Strahl, wenn man sieht, welchen Ärger Böhmermann wieder einbringt. Aber irgendein Medienmensch muß denen gesagt haben: Der läßt euch jung aussehen, der sorgt für Klicks und Randale in den Netzwerken, der hat eine große Medienpräsenz. Laßt den mal weiterzappeln.“ Daß der Late-Night-Altmeister den moralinsauren Dauertwitterer als einzigen seiner Sidekicks nicht zur großen Abschluß-Show einlud, kann Böhmermann bis heute nicht verstehen.

Aber auch die vom Bayerischen Rundfunk (JF 14/20) und dem Funk-Format „Gute Nacht Alter“ kommende Ariane Alter bietet mit ihrer neuen Show „Late Night Alter“, mit der sie Ende Oktober Böhmermanns Sendeplatz bei ZDFneo beerbt hat, nur abgedroschene Empörungs-Witzeleien über alte weiße Männer sowie langweilige Lobhudeleien von Diversität, Girlpower und Klima-Protest. 

Anders geht es wohl nicht mehr. „Mit den heutigen Maßstäben, auch der Political Correctness, der Sprachpolizei und des linksliberalen Mainstreams, hätte ich meine Show nach einer Woche abgenommen bekommen“, stellte der 63jährige Schmidt in einem Interview im österreichischen Fernsehen fest. Die brave Tristesse, die sich nicht nur am späten Abend im Fernsehen breitmacht, gibt dem ewigen „König der Late Night“ recht.