© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Gegen die Diktatur des Relativismus
Der Interviewband des Publizisten Martin Lohmann mit Gerhard Kardinal Müller ist gleichzeitig ein Plädoyer gegen herrschende Aufweichungun des Glaubens
Norbert Westhof

Die „Wahrheit“ erscheint im Zeichen der Pandemie als Mahnruf eines hochrangigen Geistlichen an die Katholische Kirche und als katechetischer Einspruch für alle Christgläubigen in einer von Wissenschaftshörigkeit dominierten Zeit.

Das Buch über Leben und Werk von Gerhard Kardinal Müller fokussiert grundlegende Stellungnahmen zu aktuellen Zeitfragen aus traditionalistischer Perspektive. Das Buch erscheine „in Zeiten eines falschen beziehungsweise defizitären Freiheitsverständnisses und einer Diktatur des Relativismus“, so der namhafte katholische Publizist Martin Lohmann in seinem Vorwort. Die Gesprächspartner suchen „nach der befreienden Wahrheit“, versprechen „unerschrockene Aufklärung und orientierende Klarheit“ sowie „theologische Fundierung und saubere Analyse“, weil „die Welt (...) dringend dieses erhellende Licht“ brauche. Den „Quell der Wahrheit“ finden die Autoren in Jesus Christus und den „richtigen Weg“ in einer „Kirche des Widerspruchs“.

Erosion der bedeutendsten Glaubensfundamente

Der Interviewband ist ein schweres Geschütz im Kampf des Geistlichen gegen die Nachlässigkeiten und Anfeindungen aus den eigenen Reihen, nachdem Gerhard Kardinal Müller als Mitunterzeichner eines populären Mahnschreibens mehrerer hochrangiger Geistlicher im Mai 2020 heftiger Kritik ausgesetzt war.

Mit Lob der Versöhnungsabsichten des amtierenden Papstes sowie tiefem Bekenntnis zu dessen beiden Vorgängern skizziert der habilitierte Kardinal seinen Glaubensweg und nimmt aus aktueller Sicht wesentliche Positionen sowie Wendungen der Katholischen Dogmatik seit der Reformation kritisch in den Blick.

Die katechetische Essenz gründlicher Erörterungen zentraler Glaubensfragen wie der Bedeutung des Konzils, der Rolle der Medien, der Sexualmoral in der Kirche sowie des Zölibats, der Beziehung zu Andersgläubigen, der Ökumene, der Frage nach dem Bösen und der Freiheit des Christen, zeigt sich vor allem in der Kritik an einer nach wie vor selbst nicht aufgeklärten Aufklärung und den Folgen zahlreicher, aus dieser Unaufgeklärtheit resultierenden Irrtümer sowie Irrlehren. 

Insbesondere die Abkehr vom christlichen Menschenbild und eine Diktatur des Relativismus hätten das Selbstverständnis vieler Entscheidungsträger innerhalb der Katholischen Kirche so sehr verunsichert, daß es zur Erosion der bedeutendsten Glaubensfundamente gekommen sei und dazu, daß die eigentliche, doppelte Aufgabe der Verkündigung und des Hirtentums an die Kräfte des Zeitgeistes abgegeben worden sei.

Daher komme es jetzt unter den Belastungen der Corona-Krise darauf an, Jesus Christus als die Quelle der Glaubenskraft wiederzuentdecken sowie sich in Wort und Tat zu dessen überzeitlicher „Wahrheit“ zu bekennen. Ganz in der Tradition der Auseinandersetzung des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. mit der Geschichte der Problematisierung des Themas Wahrheit plädiert Kardinal Müller für eine Überwindung der ideologischen Verabsolutierung einer bloß rationalen Vernunft, welche die Wahrheit des Glaubens nicht annimmt.

Martin Lohmann, Gerhard Kardinal Müller: Wahrheit. Die DNA der Kirche. Ein Gespräch. fe-Medienverlag, Kißlegg 2020, gebunden, 344 Seiten, 19,80 Euro