© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Vier Pfoten gegen Einsamkeit
In der Krise wünschen sich viele ein Haustier: Das sorgt für einen Drehtüreffekt in den Tierheimen
Bernd Rademacher

Social Distancing“, „Homeoffice“ und Schulausfall, Teil-Lockdown und Kontaktsperre: Die Politik hat dem Gesellschaftsleben den Stecker gezogen. Was bleibt, sind oft Einsamkeit und Langeweile. Da besinnen sich viele auf die besten Freunde des Menschen: ob Hund, Katze, Hamster oder Piepmatz. Hauptsache, ein Gefährte zum Sprechen und Kuscheln.

Das zeigte sich schon zu Beginn der Corona-Krise: Deutschlands Tierheime waren im Frühjahr fast leergefegt. In Berlin, Leipzig oder Frankfurt am Main waren die Zwinger verwaist. Wegen vieler obskurer Anfragen – „Ich hab’ sechs Monate Kurzarbeit und will ’ne Katze“ oder „Die Kinder können sich nicht mit Freunden treffen, sie brauchen ein Haustier“ – befürchteten die Tierschutzverbände eine Rückgabewelle der vermittelten Tiere zum Ende des Sommers. Doch die blieb vorerst aus. Dafür hatte die starke Nachfrage einen anderen Effekt: Die verbliebenen Tierheim-Insassen genossen sichtlich die ungewohnte „Ruhe“. Zudem fiel das jährliche Abgabe-Hoch zur Sommerreisezeit, wenn zahllose Hunde an der Autobahn ausgesetzt werden, in diesem Jahr weitestgehend flach.

Dennoch dreht sich das Tiervermittlungs-Karussell auf Hochtouren: Viele Isolierte, die sich im örtlichen Tierheim vergebens um einen pelzigen Begleiter bemüht hatten, werden im Internet fündig. Auf dem Online-Tiermarkt bei „eBay-Kleinanzeigen“ und ähnlichen Portalen werden viele Hunde aus Osteuropa angeboten (JF 51/18). Waren unsere Tierheime in früheren Jahren zunächst mit spanischen und griechischen Hunden überfüllt, sind nun Ungarn und Rumänien die Hauptlieferanten.

Die Tiere säßen dort angeblich in „Tötungsstationen“, bis deutsche Tierliebhaber sie per Internet-Annonce „retten“. Das erzeugt eine Sogwirkung: Viele Hunde werden offenbar gezielt für den deutschen Markt „produziert“. Das Leid der als „Wurfmaschinen“ mißbrauchten Hündinnen blenden die Abnehmer dabei aus. Nicht wenige der Vierbeiner, die im Internet noch „sooo süüüß“ aussahen, erweisen sich zu Hause als nicht sozialisiert oder gar aggressiv. Auch unerwartete Tierarztkosten durch verheimlichte Krankheiten desillusionieren viele Käufer. Und schwupp – landen die Hunde hier im Tierheim.

Unter Druck von Tierschützern hat eBay daher seine Statuten verschärft: Seit dem 1. Oktober dürfen dort keine Hunde- und Katzenwelpen mehr verkauft werden, die unter zwölf Wochen alt sind. „Qualzüchtungen“ (JF 42/20) wie Nacktkatzen oder Mopshunde sind nun vom Handel ausgeschlossen. Zudem sollen nur noch Tiere vermittelt werden, die sich auch in Deutschland befinden.

Derweil haben die Heime selbst mit den Folgen der Corona-Politik zu kämpfen: Durch die Besucherbeschränkung bleiben die Spendendosen leer und auch Basare zugunsten der Tierschutzvereine finden nicht statt. Gerade jetzt zur Weihnachtszeit ist die Nachfrage besonders groß: zur altbekannten Unart, lebende Geschenke unter den Baum zu stellen, kommt der zweite Lockdown und die monatelange Einsamkeit gerade älterer Menschen. Wer will das Fest der Besinnlichkeit schon allein zu Haus verbringen? Was gibt es Harmonischeres, als an langen dunklen Advents-Abenden die schnurrende Katze auf dem Schoß oder den zufrieden dösenden Hund zu Füßen liegen zu haben?

Corona-Pandemie trifft auf Weihnachtszeit

Damit es nach Neujahr nicht zu einer Schwemme lebender „Retouren“ in die Tierheime gibt, appellieren die Tierschutzvereine dieses Jahr besonders, sich die Anschaffung bitte gut zu überlegen, denn das Schlimmste für ein Rudeltier ist es, nach wenigen Wochen der Eingewöhnung wieder abgegeben zu werden. Gerade wer mit einem Hund liebäugelt, sollte bedenken, daß der neue Freund mindestens zehn Jahre lebt und Ansprüche an Pflege und sozialen Kontakt stellt. Hunde bellen, machen Dreck, verursachen Tierarztkosten. Und wenn man sich nicht als Rudelchef durchsetzt, können sie auch beißen. Außerdem sollte die Rasse zum persönlichen Auslastungsangebot passen. Nach Border Collie und Labrador sind bei urbanen Damen derzeit die elegant silbergrauschimmernden Weimaraner in Mode. Die bedauernswerten Jagdhunde, die niemals jagen können, sondern nur gelangweilt an der Leine durch den Stadtpark trippeln dürfen, entwickeln wegen Unterbeschäftigung nicht selten Neurosen. Auch der gute alte Dackel, der aktuell wieder stark gefragt ist (JF 16/19), überrascht unvorbereitete Familien oft mit seinem sprichwörtlichen Dickschädel. Wenn’s aber paßt, ist der behaarte Kumpel ein toller Freund fürs Leben – nicht nur zu Weihnachten und nicht nur wegen Corona.