© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 50/20 / 04. Dezember 2020

Der Flaneur
Beim Spießrutenlauf
Maria Bentz

In ruhigen Fahrwassern dümpelt manches Menschenleben, sich überschlagende Wellen peitschen ein anderes. Blaulicht, schrille Sirene, schnell, schnell, doch man springt dem Sensenmann von der Schippe. Lädiert rappelt man sich auf. Das wieder schlagende Herz, die mühselig wieder arbeitende Lunge brauchen Luft und viel Sauerstoff. Spazierengehen und nicht aufregen lautet die ernste Mahnung – und keine Maske darf die Atmung behindern.

Aber Tagesgeschäfte gilt es wieder zu bewältigen, vielleicht ein bißchen weniger hektisch als früher. Stopp. Kein Verkauf an Personen ohne Mund- und Nasenbedeckung, bremst mich das Schild vor dem Laden um die Ecke, seit einem Vierteljahrhundert die Rettung bei Vergessenem. Dem zögernden Betreten folgt ein gefauchtes „Maske!“  Auf mein bescheidenes „Ich bin befreit“ hin dröhnt der Lautsprecher-Ruf nach der Chefin. Neugierige Blicke ringsherum. Mißtrauisch wird mein Attest beäugt. Aber gnädig läßt man mich ziehen. Nur schnell hinaus aus dieser Oase der Menschenfreundlichkeit!

„Solche wie Sie müssen sich ein Schild umhängen“, keift es mir vor dem Fahrstuhl entgegen.

Gleich drei Polizisten halten mich vor der Fußgängerzone an: „Hier nur mit Maske.“ „Ich bin befreit“ – und bereits etwas angenervt. „Dann weisen Sie das nach!“, die barsche Anordnung. „Glauben Sie mir nicht?“ wage ich zu entgegnen. „Na ja, es gibt ja Querdenker und so, Sie wissen ja.“ Nun, ich bin ein Geradeausdenker und hoffentlich gleich auch ein Geradeausgeher, fährt es mir beim Beweis meiner Unschuld durch den Kopf. Der Passierschein wird akzeptiert.

„Solche wie Sie müssen sich eine Schild umhängen“, keift es mir dann vor dem Fahrstuhl entgegen. Ich weiche zurück und nehme den nächsten. Aha, ein Schild, vielleicht gelbe Warnfarbe und sternförmig? Oder mittelalterlich: Jemand geht mit einer Schelle vor mir her. Eigentlich ein erheiternder Gedanke. Und ein neuer Berufszweig: Schellenträger, 24 Stunden abrufbar auf einer App. Damit hätte man auch gleich alle Unmaskierten registriert.