© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Kenia-Knast-Koalition
Rundfunkstaatsvertrag: Die Krise in Sachsen-Anhalt verdeutlicht das Dilemma der zwischen Rot-Grün und AfD eingequetschten Union
Ronald Berthold

Gemeinsam haben SPD und Grüne 15,8 Prozent der Wähler Sachsen-Anhalts hinter sich. Und doch bestimmen sie in der Koalition mit der doppelt so starken CDU, wo es langgeht. Die Entlassung des CDU-Landesvorsitzenden Holger Stahlknecht als Innenminister durch CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff ist nicht nur ein Ausdruck eines Richtungskampfes innerhalb der Partei. Sie zeugt auch von der rot-grünen Gefangenschaft, in die sich die Union durch das Kenia-Bündnis begeben hat. Haseloff gebärdet sich, so empfinden es Teile der Basis, als deren Gefängnisdirektor.

Mit SPD und Grünen gegen die eigene Fraktion

Fluchtversuche werden rigoros bestraft. Das mußten vor Stahlknecht bereits Thüringens CDU-Chef Mike Mohring, Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen und der seinerzeitige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, erfahren. Längst geht es in Sachsen-Anhalt nicht mehr um die Erhöhung des Rundfunkbeitrages, über den sich Haseloff, SPD und Grüne auf der einen mit der CDU-Fraktion auf der anderen Seite zerstritten haben.

Daher könnte das Land zum Menetekel für andere ostdeutsche Bundesländer werden. Auch in Sachsen regiert die Union mit Rot-Grün, das es gemeinsam auf 16,3 Prozent bringt. In Thüringen hat die CDU mit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung gar einen „Stabilitätspakt“ geschlossen, der einen Linken-Ministerpräsidenten an der Macht hält. Das frustriert dort immer mehr CDU-Abgeordnete. Überall geht es darum, die jeweils zweitstärkste Kraft, die AfD, zu isolieren. Der nun von Haseloff initiierte Kompromiß, die Abstimmung im Magdeburger Landtag abzusagen, ist getragen von der Angst der CDU, gemeinsam mit der rechten Opposition votieren zu müssen. Die Erhöhung ist mit dem Rückzug des neues Medienstaatsvertrags zwar vorerst gestoppt, aber die Landesregierung hat die Volksvertretung entmachtet: Lieber gar nicht abstimmen, als die AfD zu beteiligen. Ein Novum im deutschen Parlamentarismus. Nun werden ARD und ZDF das Verfassungsgericht anrufen.

Vor diesem Hintergrund hat Grünen-Chef Robert Habeck die Rolle der Union als Steigbügelhalter zutreffend beschrieben. Sinn der Kenia-Koalition sei es, „die Kräfte der CDU, die nicht mit der AfD kooperieren wollen, in der Mitte der Gesellschaft zu halten“. Übersetzt heißt das: Wer sich nicht an SPD und Grüne ketten will, gehört zum rechten Rand. Dieses Spiel funktioniert, weil auch die Bundes-CDU und CSU-Chef Markus Söder darauf drängten.

Stahlknecht hatte an Rot-Grün appelliert, die Koalition nicht zu brechen. Auf die Nachfrage der Magdeburger Volksstimme, wie es weitergehe, wenn es doch geschehe, antwortete der Politiker: „Dann käme es zu einer CDU-Minderheitsregierung und zur regulären Landtagswahl am 6. Juni 2021.“

Dieser Satz sorgte für Stahlknechts politisches Ende – auch als CDU-Vorsitzender. SPD, Grüne, Haseloff und Medien unterstellten ihm, eine Kooperation mit der AfD anzusteuern; dabei hatte er genau das im selben Interview ausgeschlossen. Seine Aussage bedeutete eher, seine Partei lasse sich von Rot-Grün nicht erpressen. Motto: Wenn ihr nicht mehr mitmacht, machen wir eben das letzte halbe Jahr allein weiter.

Das aber möchte Haseloff nicht, auch wenn SPD und Grüne die CDU zum Bruch des Koalitionsvertrages nötigen wollten. Dort heißt es, die Parteien verpflichteten sich auf „Beitragsstabili-tät“. Sie legten sogar fest, daß sie sich im Zusammenhang mit „künftigen Änderungen des Rundfunkstaatsvertrages für Entlastungen kleiner und mittelständischer Unternehmen“ einsetzen.

Rot-Grün wollte das Gegenteil. Um davon abzulenken, spielten die Parteien die AfD-Karte. Da die Oppositionsführerin ebenfalls gegen die Erhöhung ist, rückten sie die CDU in deren Nähe. Mit der Entlassung seines eigenen Parteichefs gab Haseloff sich diesem angeblichen Trumpf geschlagen.

Der Links-Fraktion spielte diese Situation ins Blatt. Bis zum Herbst hatte sie angekündigt, ebenfalls gegen die Erhöhung zu votieren. Dann erkannte sie, daß die CDU mit der AfD allein bliebe, wenn sie ihre Haltung änderte. Aus rein strategischen Gründen, um die Union in die Enge zu treiben, machte sie eine 180-Grad-Drehung. Haseloff tappte in die Falle und unterwarf sich ne-ben SPD und Grünen auch der Linken. Stahlknecht durchschaute das. Er wollte auch gegenüber seinen Wählern Wort halten. Denn das Versprechen, die Erhöhung zu verhindern, hatte seine Partei immer wieder erneuert.

In der sachsen-anhaltischen CDU gibt es tatsächlich Kräfte, die lieber mit der AfD als mit Rot-Grün kooperieren. Stahlknecht gehört aber nicht dazu. Daß er nun trotzdem zum Bauernopfer wurde, zeigt, wie dünn das Eis in der Partei ist, gegen einen Linkskurs zu opponieren.

Vor einem Jahr erlebte der Innenminister sein erstes Waterloo. Einen vakanten Staatssekretärsposten wollte er mit dem Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt besetzen. Es sollte ein Zeichen an die konservative Parteibasis und die Polizisten, die in Scharen zur AfD abwandern, sein. Diesen Plan mußte er unter gewaltigem Druck aufgeben. Rot-Grün protestierte heftig und zog Haseloff auf seine Seite. Wendt sagte später sogar, die Bundeskanzlerin habe ihn verhindert. Niemand widersprach ernsthaft.

Der Ministerpräsident hat sich dieser Tage erneut mit Rot-Grün gegen seine Fraktion verbündet. Dort gärt es gewaltig. Sie nahm den 66jährigen bereits vor Stahlknechts Rausschmiß unter Beschuß. Kurz vor der Landtagswahl wird sie ihren Regierungschef aber nicht stürzen, auch wenn viele Abgeordnete die Faust in der Tasche ballen. Die Landes-CDU droht dennoch in Richtungskämpfen und im Chaos zu versinken. Eine Rolle, die eigentlich der AfD zugedacht war. Doch die reibt sich die Hände.