© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Eingreifen, bitte!
Innenminister: AfD und „Querdenken“ sollen durch den Verfassungsschutz beobachtet werden
Peter Möller

Im Vorfeld der Innenministerkonferenz in dieser Woche konnte der Eindruck entstehen, das Land stehe kurz vor dem Umsturz: wahlweise durch die coronakritische „Querdenker“-Bewegung oder aber durch die AfD. Denn in den vergangenen Tagen und Wochen mehrten sich die Stimmen von Politikern, die mit Blick auf die Tagung der Innenminister von Bund und Ländern mit teilweise drastischen Worten ein Eingreifen des Verfassungsschutzes zur Rettung der Demokratie forderten. 

Erst am Montag machte sich auch Familienministerin Franziska Giffey dafür stark, die Szene der Kritiker der Corona-Maßnahmen vom Inlandsgeheimdienst unter die Lupe zu nehmen. „Bei Gruppen, die sich verfassungsfeindlich äußern oder einen Angriff auf die Demokratie planen, muß sich der Verfassungsschutz einschalten“, sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Das heißt nicht, daß alle, die bei solchen Demonstrationen mitlaufen, als Verfassungsfeinde angesehen werden.“

Verfassungsschutzchef will für SPD in den Bundestag

Ähnlich hatte sich zuvor der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, geäußert. Auch er hält es zwar grundsätzlich für legitim, gegen Corona-Einschränkungen zu demonstrieren. „Allerdings wissen wir, daß zunächst als Trittbrettfahrer und in der Zwischenzeit auch immer mehr regieführend eben Rechtsextremisten, Reichsbürger, Impfgegner, Verschwörungsphantasten hier das Regiment übernehmen“, sagte Kramer, der sich im kommenden Jahr für die SPD um einen Sitz im Bundestag bewerben will, dem RBB. 

Bei den Organisatoren der „Querdenken“-Demonstrationen selbst sei vermehrt „Reichsbürger-Sprech“ festzustellen. Man müsse sich mit der Frage beschäftigen: „Handelt es sich jetzt hierbei, bei den ‘Querdenken’-Demonstrationen, nicht auch längst schon um für den Verfassungsschutz relevante extremistische Bestrebungen?“

Bereits Ende November war ein gemeinsames Papier der Verfassungsschützer von Bund und Ländern zur „Querdenker“-Bewegung bekanntgeworden. Darin heißt es, zum Teil habe man es mit Normalbürgern zu tun, zum Teil mit klassischen Rechtsextremisten, berichtet der Rechercheverbund von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR. Zum Teil handele es sich allerdings um einen Extremismus neuen Typs, einen Extremismus „sui generis“. 

Damit sind Gruppen gemeint, die rund um das Coronavirus angebliche Verschwörungserzählungen verbreiten und damit gezielt das Vertrauen in staatliche und andere Institutionen angreifen. Viele von ihnen würden nicht in die traditionelle Schublade des Rechtsextremismus passen, dies sei ein „Extremismus, der nicht unter die im Verfassungsschutzverbund geläufigen Phänomenbereiche fällt“, wie es laut SZ in der vertraulichen Analyse heißt.

Noch vor den Querdenkern war die AfD von mehreren Innenministern unter Feuer genommen worden. Die seit Monaten am Köcheln gehaltene Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD als Ganzes als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen beziehungsweise komplett beobachten soll, wurde um die Diskussion über ein Verbotsverfahren verschärft.

Auch wenn dieser vom Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) unternommene Vorstoß von keinem Verfassungsrechtler zum gegenwärtigen Zeitpunkt irgendeine Chance eingeräumt wird, kann dieser als Versuch gewertet werden, den Boden für eine Beobachtung der Partei zu bereiten, indem besonders harte Maßnahmen gefordert werden, um die vermeintlich milderen Mittel dann leichter durchzubekommen.

Neben mehreren Innenministern hatte sich auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken dafür ausgesprochen, die AfD zu beobachten. „Es ist dringend geboten, daß der Verfassungsschutz nicht nur die AfD, sondern auch ihre Vernetzung mit nationalen und internationalen Akteuren der rechtsextremistischen Szene beobachtet“, sagte Esken den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Diese Szene radikalisiere sich grenzübergreifend und lasse eine hohe Gewaltbereitschaft erkennen. 

Ob indes bereits in dieser Woche eine Entscheidung über eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz fällt, war bis zuletzt unklar. In der AfD wurde davon ausgegangen, daß eine mögliche Einstufung der Gesamtpartei als Verdachtsfall erst im kommenden Frühjahr vor den dann anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verkündet wird.

So einig sich die etablierten Parteien bei einer möglichen Beobachtung der regierungskritischen „Querdenker“-Bewegung und der AfD sind, so uneins sind sich die Innenminister bei der Frage des Abschiebestopps für Syrer gewesen, einem weiteren wichtigen Thema der Konferenz. 

Während Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) unter dem Eindruck der Ermordung eines Mannes Anfang Oktober in Dresden durch einen abgelehnten Asylbewerber aus Syrien dafür plädiert, den generellen Abschiebestopp für dieses Land Ende des Jahres auslaufen zu lassen und zumindest die Abschiebung von Straftätern und islamistischen Gefährdern zu ermöglichen, kommt vor allem von seiten der SPD und der Grünen entschiedener Widerspruch. „Es ist schlicht unverantwortlich, daß ein deutscher Innenminister, der für den Schutz aller Menschen in diesem Land zuständig ist, allein zur eigenen Profilierung mit vollkommen realitätsfernen Ideen Menschen in Angst und Schrecken versetzt“, kommentierte die Grünen-Chefin Annalena Baerbock den Vorschlag Seehofers.