© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mit der Gießkanne verteilt
Paul Rosen

Als ganz Deutschland der Lockdown aufgezwungen wurde, um mit den Folgen der Corona-Pandemie fertig zu werden, gehörte der Bundestag nicht zu den Einrichtungen, die durch besonderen Eifer auffielen. Im ganzen Land herrschte in Geschäften und öffentlichen Einrichtungen schon längst Maskenzwang, aber Präsident Wolfgang Schäuble (CDU) ließ es in den Gebäuden des Bundestages immer noch locker zugehen. Eine Maske zu tragen war dort Privatsache, bis Schäuble am 7. Oktober aufgrund öffentlichen Drucks eine „Allgemeinverfügung“ erließ und auch im hohen Haus eine Mund-Nasen-Bedeckung Pflicht wurde.

Zwischenzeitlich war für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen (zum Beispiel in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen) ein besonderer Tarifvertrag vereinbart worden. Um die „besonderen Leistungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen in der Corona-Krise“ zu honorieren, sieht die Tarifeinigung die Zahlung einer steuer- und abgabenfreien Anerkennungsleistung vor: Sie beträgt einmalig zwischen 300 und 600 Euro, wobei die untersten Lohngruppen die höchsten Zulagen erhalten. Auch für die Bundesbeamten soll es eine entsprechende Zahlung geben.

Und auf einmal sind der Bundestagspräsident und die Fraktionsführungen ganz schnell: Ende November teilte Schäuble in einem zweiseitigen Schreiben an die sehr geehrten Kollegen mit,  der Ältestenrat des Bundestages habe beschlossen, diesen Tarifvertrag auch auf die Beschäftigten der Abgeordneten anzuwenden – „zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise“. 

Die Bundestagsverwaltung beeilte sich unterdessen gleich mitzuteilen, es handele sich hier lediglich „um die wirkungsgleiche Übertragung des Tarifabschlusses für Angestellte im öffentlichen Dienst“. Dies sei erforderlich gewesen, da die MdB-Mitarbeiter formal nicht zum öffentlichen Dienst gehören, sondern befristete Arbeitsverträge mit den einzelnen Abgeordneten haben. Der Kreis der Betroffenen ist recht groß: Jeder Abgeordnete kann Mitarbeiter bis zu einer monatlichen Gesamtgehaltssumme von 22.436 Euro beschäftigen. Was die 709 Adressaten des Schäuble-Schreibens daher besonders erfreuen dürfte, ist der vorletzte Satz: „Die Zahlung erfolgt nicht zu Lasten der sogenannten Mitarbeiterpauschale.“ Aus dieser Mitarbeiterpauschale dürften sich gut und gerne fünf Stellen in Berlin und im Wahlkreis des Abgeordnetem bezahlen lassen. Zurückhaltend geschätzt dürfte Schäubles Rundschreiben also zusätzliche Kosten von rund zwei Millionen Euro verursachen.

Für Krankenschwestern, Pflegekräfte, Rettungssanitäter und Angehörige des Gesundheitswesens, die im Kampf gegen die Pandemie oft bis zur Erschöpfung arbeiten müssen, ist eine Sonderzahlung wohl das Mindeste. Im Bundestag dagegen herrscht außerhalb der Sitzungswochen Leere auf vielen Fluren, da Heimarbeit angesagt ist. Eine „zusätzliche Belastung durch die Corona-Krise“ dürfte demnach schwer zu begründen sein.