© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Blick in die Medien
Es gab nicht nur Baseballschläger
Tobias Dahlbrügge

In den Nachwendejahren herrschte in den neuen Bundesländern ein Schwebezustand, in dem sich eine rechtsextreme Jugendsubkultur mit hohem Gewaltpotential ausbreitete. Die Medien heizten den Skinhead-Kult mit Horrorstorys an, die Polizei war heillos überfordert, es gab Tote.

Hendrik Bolz (Jahrgang 1988), alias Rapper „Testo“, schrieb darüber einen Artikel im Freitag, obwohl er damals noch Kleinkind war. Der Zeit Online-Autor Christian Bangel, gebürtig aus Frankfurt (Oder), griff das Sujet auf und prägte den Begriff „Baseballschlägerjahre“.

Weil die Gelegenheit günstig ist, wird alles mit aktuellem AfD-Bashing angerührt.

Die Zeit und der RBB produzierten dazu eine Filmreihe, die seit dem 2. Dezember ausgestrahlt wird und im Internet bereitsteht. Die sechs 15minütigen Episoden zeigen viel dokumentarisches Material, zum Beispiel von den „Himmelfahrtskrawallen“ in Magdeburg 1994, Nazi-Glatzen stammeln sich durch Interviews, aber auch Punks erzählen vor der Kamera: „Wir haben Molotow-Cocktails, Pflastersteine, Schreckschußpistolen mit Leuchtspurmunition und Zwillen gehabt…“ Es wird der mühsame Aufbau des „Mobilen Einsatzkommandos gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“ (MEGA) geschildert und die Geschichte vom Szene-Aussteiger Steven erzählt. Daß sich viele Schlagzeilen als „Fake News“ herausstellten, so wie „Skins klauten Baby“ (Bild), „Mädchen Hakenkreuz in Wange geschnitten“ (Berliner Kurier), bleibt unerwähnt. Und natürlich wird alles mit aktuellem AfD-Bashing verrührt, weil die Gelegenheit so günstig ist. Das legendäre Claudia-Roth-Zitat „Gewalt ist immer auch ein Hilferuf“ gilt eben nur auf einer Seite. Es spricht natürlich nichts dagegen, diese Jahre und die Gewalt­exzesse, die niemand leugnen oder beschönigen kann, aufzuarbeiten, aber: Eine ähnlich engagierte Kampagne über Islamistenterror oder Ausländergewalt vermißt der Zuschauer. Von den #Wasguckstdujahren hat man noch nie gehört.