© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Coronavirus: Wären Einschränkungen für Nichtgeimpfte gerechtfertigt?
Das Volk ernst nehmen
Matthias Matussek

Die Bundesregierung betont, daß im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus keine neue Impfpflicht geplant sei (Gesundheitsminister Jens Spahn: „Klipp und klar: Nein“). Wohl aber werden bereits Einschränkungen für Bürger diskutiert, die sich nicht impfen lassen wollen: Schon prüft der Dachverband der Fluggesellschaften IATA, einen Impfreisepaß einzuführen. Zugangsbeschränkungen durch Fluggesellschaften, Gastronomiebetriebe, Verkehrsunternehmen, Konzertveranstalter, Theaterhäuser wären in der Folge für Impfunwillige vorstellbar. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) warnte bereits vor einer ungeregelten Corona-Impfpflicht durch die Hintertür, falls Personen ohne Impfschutz im gesellschaftlichen Leben Nachteile drohten. Gegen „Sonderrechte“ für Geimpfte sprach sich zuletzt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) aus. Der kontroversen Frage, ob Einschränkungen für nicht gegen Corona Geimpfte gerechtfertigt wären, haben sich unsere beiden Autoren angenommen. Sie sind zu gänzlich gegenteiligen Auffassungen gekommen. (ru)





Einschränkungen für Nichtgeimpfte wären Maßnahmen aus der Bibliothek des Grauens. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft täte sich auf, die sich teilt in Regierungskonforme und die bösen „Anderen“, die sich, aus welchen Gründen auch immer (und es sind deren zahlreiche) weigern, sich impfen zu lassen.

Das Grundgesetz kennt keinen Impfzwang. Das Grundgesetz kennt auch kein Demonstrationsverbot. Es kennt weder Kino- noch Restaurantverbot. Es ist eine ganze Menge, was das Grundgesetz nicht kennt, aber jetzt kennenlernt auf die ganz harte Tour.

Die Harten kommen derzeit nicht nur in den Garten, sondern ganz besonders gut an. Denn es ist Corona, und das ist ein Ausnahmezustand, der nach Carl Schmitt darüber bestimmt, wer der Souverän ist. Derzeit ist der Souverän nicht das Volk, vertreten durch das Parlament, sondern die Kanzlerin an der Spitze der Exekutive. Das Volk steht eher murrend vor dem Parlament und wird mit Wasserwerfern von der Straße gespült.

Was mich angeht: Ich werde wohl erst mal abwarten. Und werde mich wehren gegen die Ranküne eines Staates, der bereits jetzt in geradezu unerträglicher Manier den Ausnahmezustand nutzt, um in meine Freiheiten einzu-

greifen.

Das Volk ist der Verdachtsfall. Wir haben uns während dieser Corona-Pandemie an so einiges gewöhnen müssen, zum Beispiel daran, daß Mediziner, die die Sinnhaftigkeit der ergriffenen Maßnahmen kritisieren, ausgeblendet werden.

Auch daran, daß etwa die Maskenpflicht, die soeben in einem dänischen Großtest für ineffektiv befunden wurde, bei uns selbst im Freien angeordnet wird und Zuwiderhandlungen mit empfindlichen Geldbußen belegt werden.

Nun nimmt die Corona-Diskussion erneut an Fahrt und Schärfe auf, denn nun sind Impfstoffe gefunden, die der diabolischen Pandemie offensichtlich den Garaus machen könnten. Könnten, denn alle verfügbaren Impfstoffe sind in einer geradezu halsbrecherischen Geschwindigkeit genehmigt worden, die Durchbrüche von Pfizer und Biontech sind aus politischen Gründen erst am Tag nach der US-Wahl lanciert worden, und beide Pharmaunternehmen müssen nun einräumen, daß sie mit den Lieferketten Probleme haben. Und noch weiß realiter niemand, ob und wenn wie lange die Impfungen Immunität garantieren.

Nach einem Bericht der Welt sollen einige frühere Chargen der für die Produktion erforderlichen Ausgangsstoffe nicht den erforderlichen Standards entsprochen haben. Die Welt: „Dies habe zu den Verzögerungen bei der Produktion geführt. Pfizer selbst will nicht ins Detail gehen.“

Rund 40 Prozent der Bevölkerung, das haben Umfragen ergeben, sind impfskeptisch. Der Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, hat die Befürchtungen paradoxerweise bestätigt, statt sie zu zerstreuen – er warnte, daß es womöglich zu einer Steigerung der Mortalität kommen werde, da zunächst die Risikogruppe der Alten ins Visier genommen werde.

Hier sagt er nun abwiegelnd plötzlich das gleiche, das von sogenannten Corona-Leugnern ins Feld geführt wurde, die die Covid-Mortalität mit der einer normalen Grippe gleichsetzen.

Aber man ahnt es schon jetzt: Nach den Corona-Leugnern, die ja mit Holocaust-Leugnern annotiert werden, also mit Straftätern, droht nun eine neue Gruppe ins Visier zu rücken, nämlich die der Impf-Leugner.

Zwar hat Gesundheitsminister Jens Spahn geschworen, es werde keinen Impfzwang geben, aber der internationale Dachverband der Fluggesellschaften IATA spielt bereits mit dem Gedanken, nur noch Geimpfte zu befördern und eventuell Impfreisepässe auszustellen.

Was mich angeht: Ich werde wohl erst mal abwarten. Und werde mich wehren gegen die Ranküne eines Staates, der bereits jetzt in geradezu unerträglicher Manier den Ausnahmezustand nutzt, um in meine Freiheiten einzugreifen.

Warum können die Volksvertreter sich bei uns so schwer daran gewöhnen, das Volk ernst zu nehmen und die Menschen im Lande wie Erwachsene zu behandeln, die sehr wohl wissen, wie und wo sie sich schützen müssen?

Geradezu deprimierend sind die Umfragen, nach denen Scharfmacher wie Markus Söder, der das Infektionsgeschehen mit all den Testpannen in seinem eigenen Bundesland nicht in den Griff bekommt und jetzt erneut den Notstand für alle ausruft, geradezu auf einer Woge der Popularität schwimmt.

Lieben wir es in diesem Land tatsächlich immer noch, der Autorität, so aufgeplustert operettenhaft sie auch immer daherkommen mag, die Stiefel zu küssen?






Matthias Matussek, Jahrgang 1954, arbeitete von 1987 bis 2013 beim Spiegel, danach für die Welt. Er veröffentlichte zuletzt das Buch „White Rabbit oder Der Abschied vom gesunden Menschenverstand“ (Finanzbuch-Verlag).