© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 51/20 / 11. Dezember 2020

Korpsgeist und Elitensolidarität bei Schuldpredigern
Große Schweiger in eigener Sache
(ob)

Im März 2010 wollte das reformpädagogische Landschulheim Odenwaldschule den 100. Jahrestag seiner Gründung feierlich begehen. Doch in die Vorbereitungen platzten Enthüllungen über ein lange vertuschtes System sexuellen Mißbrauchs. Die „Elite des Landes“, von Richard von Weizsäcker bis zu Marion Gräfin Dönhoff, von Hartmut von Hentig bis zu Hellmut Becker, die sich gern als „Aufklärer von Beruf“ inszenierten, hatte geholfen, an der Odenwaldschule übliche Praktiken unter der Decke zu halten. Bis 2010 hatte diese Lobby den Schulleiter, Gerold Becker, von Hentigs Lebensgefährten, vor einem Skandal bewahrt. Für den ehemaligen SZ-Journalisten Volker Breidecker zeigt sich auch darin viel Übung im „großen deutschen Beschweigen“. Ausgerechnet bei jenen, die öffentlich nie müde wurden, Erinnerung an „deutsche Schuld“ einzufordern, habe sich dieses „Beschweigen“ aber nicht nur auf Mißbrauchsfälle erstreckt. Gerade Hellmut Becker (1913–1993), die „Schlüsselfigur des durch ‘Korpsgeist und Elitensolidarität seit dem Dritten Reich’“ verbundenen Netzwerks, hüllte sich über seine Kriegserlebnisse zeitlebens in Schweigen. Dabei stehe fest, daß er als Angehöriger eines Gebirgsjägerregiments Ende Juni 1941 in Lemberg Augenzeuge antijüdischer Pogrome und der ersten Massenerschießung von Juden durch die Einsatzgruppe C gewesen sei (Merkur, 11/2020). 


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