© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Lesereinspruch

Kant verkannt

Zu: „Der Imperativ ist kategorisch“ von Markus Brandstetter, JF 51/20

Die zentrale Frage zu den von politischer Seite geforderten Massenimpfungen lautet: „Dürfen Impfverweigerer gesellschaftlich stigmatisiert und ausgeschlossen werden?“ Hier stimme ich mit Matthias Matussek klar mit „Nein“. Herr Brandstetter hat Verständis für Ausgrenzung und begibt sich aufs Glatteis, da er der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ das Wort redet, indem er einen Großteil der Bevölkerung aufgrund eines ihr unterstellten Mankos verächtlich macht. Sein Rekurs auf Kant greift zu kurz, weil sich der „Wille“ bei Kant allein in der Vernunft gründet – gegen alle lebensweltlichen Forderungen des Sollens und der Willkür. Zumal der Nutzen dieser Impfung eine Hypothese ist und von den Geimpften nicht „gewußt“ werden kann. Die Betonung des Nutzens für eine Mehrheit ist überdies ein Argument der Gegenseite, des Utilitarismus. Aus Wünschbarkeiten der Regierung läßt sich keine moralische Pflicht ableiten. Im Gegenteil: Der Mensch darf nach Kant niemals zum Mittel degradiert werden, auch nicht zum Zwecke der Prophylaxe. Wer nimmt die neuen Befehlsempfänger an der Nadel in Regreß, wenn es schiefgeht?

Michael Hinz, Essen