© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Grüße aus Santiago de Cuba
„Retten, was wir haben“
Alessandra Garcia

Seit das Regime die Reisefreiheit für alle, die es sich leisten können, beschloß, mühen sich Länder wie Deutschland, die zuvor diese stets von Havanna verlangt hatten, Kubanern eine Einreise so schwer wie möglich zu machen. Dabei zieht es die wenigsten von uns nach Europa. Warum elf Stunden fliegen, wenn schon eine kurze Flugzeit entfernt bunte Einkaufsparadiese warten, ganz visafrei?

Meine Schwester hat das frühzeitig erkannt und ihre Arbeit als Lehrerin aufgegeben, um Händlerin zu werden. Ausgerüstet mit einem Grundkapital von 3.000 Dollar, das sie sich zusammengeborgt hat, flog sie in den Norden Süd­amerikas nach Guyana und kehrte reichbeladen zurück. Schnell entwickelte sie sich zu einer knallhart kalkulierenden Geschäftsfrau.

Die Europäer stornierten mangels Nachfrage den Einkauf von Rum und Zigarren.

Die Nachfrage war größer als das, was sie heranschleppte: Marken-Turnschuhe, Kinderkleidung, Elektronik. Schon wenn sich gerüchtehalber herumsprach, mit welchem Flieger sie zurückkehrt, drückten sich potentielle Käufer um ihr Haus herum.

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie waren die profitablen Reisen zu Ende. Aber nicht nur meine Schwester saß plötzlich auf dem trockenen, sondern der ganze Staat. Entwicklungsländer hätten zwar gern kubanische Ärzte bezahlt, aber Washington drohte ihnen mit Einstellung der Wirtschaftshilfe. Die Europäer stornierten mangels Nachfrage der Gastronomie den Einkauf von Rum und Zigarren.

Der aktuelle Brandbeschleuniger ist eine Hilfskonstruktion, mit der der Staat Dollar einnehmen wollte. Lebensmittel und Hygieneartikel werden in speziellen Geschäften angeboten, in denen nur mit einer Geldkarte bezahlt werden kann, die durch ein kubanisches Dollarkonto des Inhabers gedeckt ist. Da gleichzeitig die angebotenen Waren aus den anderen Geschäften verschwanden, wurde, so die Verwandtschaft aus dem Ausland überwies, gekauft, was das Zeug hielt – um das Erworbene mit Aufschlag an jene zu veräußern, die für ihre Arbeit vom Staat nur Pesos erhalten, für die es kaum noch etwas zu kaufen gibt.

Den Volkszorn umschreibt Vizepremier Alejandro Gil Fernández als „Bedenken der Bevölkerung“ und verteidigt die Geschäfte als „Maßnahme, um das zu retten, was wir haben“. Nur dank dieser Einnahmen habe man Hühnchenfleisch importieren können. Aber die Strategie müsse letztlich sein, mehr zu produzieren. Das predigte schon Fidel Castro. Meine Schwester züchtet jetzt Schweine.