© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Ein grüner Pyrrhussieg
Energiepolitik: Hamburg will 2021 aus Atom- und Kohlekraft gleichzeitig aussteigen / Neue Abhängigkeiten?
Marc Schmidt

Im Februar 2013 schätzte der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) „die Kosten der Energiewende und des Umbaus unserer Energieversorgung bis Ende der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts auf rund eine Billion Euro“. Daß darin schon die zig Milliarden des schwarz-roten Kohleausstiegsgesetzes (JF 29/20) enthalten waren, ist eher unwahrscheinlich. Für Steinkohlekraftwerke, die bis 2026 vorzeitig abgeschaltet werden, erhalten die Betreiber seither eine Entschädigung – nach dem Motto: Je früher vom Netz, desto mehr muß der Steuerzahler blechen.

Anfang Dezember genehmigte die Bundesnetzagentur auf Antrag des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall das vorzeitige Betriebsende des Kraftwerks Moorburg zum Sommer 2021. Das Aus des erst 2015 in Betrieb gegangenen Steinkohlekraftwerks, welches  ganz nebenbei eines der umweltfreundlichsten Europas ist, wird von den Grünen in Hamburg als politischer Sieg gefeiert. Endlich eine gute Nachricht für den skandalgebeutelten Juniorpartner im Hamburger Senat. Dennoch es gibt viele Gründe, den grünen Triumph gegen einen internationalen Konzern als Pyrrhussieg zu werten.

Denn auch das Kernkraftwerk Brokdorf, 50 Kilometer elbabwärts im holsteinschen Kreis Steinfurt gelegen, wird Ende 2021 abgeschaltet werden – wegen der atompolitischen Kehrtwende von Schwarz-Gelb 2011. Ab 2022 wären die beiden 800-Megawatt-Blöcke von Moorburg die einzigen verbliebenen grundlastfähigen Produktionseinheiten auf der 380-Kilovolt-Netzebene im Elbe-Weser-Raum bis zur dänischen Grenze gewesen. Dieser Garant für die Netzstabilität droht jetzt bereits vor dem AKW Brokdorf zu entfallen – sofern die Netzbetreiber nicht Vattenfall mit einem Block weiter als Reservekraftwerk zur Betriebsbereitschaft zwingen.

Betrachtet man die Einspeisemengen von Moorburg am Strommarkt, wird zudem deutlich, daß das angebliche Energieüberangebot in den Küstenländern durch Windkraft ein Überangebot an vorübergehender Kapazität, nicht jedoch an konstanter Leistung ist. Insbesondere in den „Dunkelflauten“ (wenig Wind- und Solarstrom) sind Grundlastkraftwerke notwendig. Um das Hamburger Stromnetz vor dem Zusammenbruch zu bewahren, stellte Moorburg in einer solchen Wetterlage im Januar 2017 den Rekord von 104 Prozent der Leistung, für die das Kraftwerk ausgelegt ist, auf.

Damals wurden auf Bitten des Netzbetreibers sogar die Vorheizgeneratoren, die sonst zum Wiederanfahren nach Revisionen genutzt werden, über mehrere Stunden im Dauerbetrieb eingesetzt. Bereits heute gilt Moorburg unter Fachleuten aufgrund seines Leistungsspektrums von Spitzenlastausgleich bis zur Vernichtung überschüssiger Blindleistung als unverzichtbar. Ohne Moorburg wären im Januar 2017 zumindest eine Reihe Industrieunternehmen vom Netz getrennt worden, um das Stromnetz vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Bau einer Ersatzanlage für das alte Heizkraftwerk?

Umweltsenator Jens Kerstan – bis 2011 Chef der Gesellschaft für ökologische Planung, die unter anderem den „Naturzugang für Geflüchtete“ organisiert – verspricht hingegen, es werde „keine Blackouts geben“. Er erwartet sogar den Rückbau des Kraftwerks auf Kosten Vattenfalls. Doch nicht nur eine mögliche Reservekraftwerkspflicht könnte den Traum der grünen Basis von renaturierten Flächen an der Elbe zerstören. Der Standort ist der einzige im Hamburger Stromnetz, der in die 380-Kilovolt-Ebene einspeisen kann. Einen solchen benötigen sowohl die Pläne des SPD-nahen Ex-Siemens-Managers und Wirtschaftssenators Michael Westhagemann für eine Wasserstoffproduktion auf dem Gelände als auch die Pläne Kerstans, nach sechs Jahren Regierungsbeteiligung ein Fernwärmekraftwerk zu realisieren.

Moorburg sollte eines der ältesten Heizkraftwerke Deutschlands in Wedel ersetzen, doch daraus wurde nichts. 2025 ist nun als Abschaltdatum anvisiert. Stattdessen soll der Kohleeinsatz reduziert werden. Ersatz liefern erdgasgefeuerte Wärmeerzeuger in Hamburg. Allerdings liegt Wedel – wo aus Steinkohle 250 Megawatt (MW) Strom und 420 MW Wärme erzeugt werden – in Schleswig-Holstein, was die Hamburger CO2-Bilanz aufgrund von zwei Kilometer Luftlinie nicht belastet. Bislang plante Kerstan für 2023/24 den Bau einer Wedel-Ersatzanlage auf einem Gelände der Hamburger Stadtwerke – betrieben mit Wärmepumpen, industrieller Abwärme oder durch Müllverwertung.

Ob die nur 80 MW starke „Power-to-Heat“-Anlage am Standort Wedel, die Windstrom in Wärme umwandeln soll, ab 2023 einsatzbereit ist, ist längst nicht ausgemacht. Und Vattenfall kann über die Moorburg-Fläche bestimmen. Formal hat der Staatskonzern eine unbefristete Nutzungsgenehmigung für das Kraftwerk nach Emissionsschutzgesetz und entsprechende Verträge für die Fläche. Allerdings propagiert der Konzern das Ziel, binnen weniger Jahre „CO2-neutral“ zu werden, weshalb die Neigung der Schweden zu einem Verkauf hoch sein dürfte.

Zudem hat Vattenfall etwa 3,5 Milliarden Euro in den Standort Moorburg investiert und inzwischen in den Bilanzen unfreiwillig wertberichtigt. Eine Reduzierung dieses Verlustes ist durchaus im Interesse des Unternehmens, welches einen entsprechend hohen Preis für das Kraftwerk und das Gelände verlangen wird. Sollten also der Bund und die Hansestadt Hamburg versuchen, sich die Nutzung des Moorburg-Geländes zu sichern, zahlt wieder der deutsche Steuerzahler und Stromkunde für die Irrwege scharz-rot-grüner Energiepolitik – und erhält gratis das gestiegene Risiko, im norddeutschen Winter in Dunkelheit und Kälte zu sitzen.

 kraftwerk-moorburg.hamburg

 preussenelektra.de





Kohleausstiegsgesetz 2020

Das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung ist am 14. August in Kraft getreten. Danach werden bis Ende 2022 acht Braunkohlekraftwerksblöcke abgeschaltet, bis 2030 sollen weitere zehn vom Netz gehen. Die verbleibenden elf Blöcke müssen dann spätestens 2038 stillgelegt werden. Die Betreiber sollen für die Stillegung insgesamt 4,35 Milliarden Euro Entschädigung erhalten. Für die Arbeitsplatzverluste und für Strukturhilfen sollen die Braunkohle­länder NRW, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt 40 Milliarden Euro vom Bund erhalten. Bis 2027 erhalten die Betreibern von Steinkohlekraftwerken Stillegungsprämien. Die Höhe wird auf Basis eines „wettbewerblichen Ausschreibungssystem“ ermittelt, das die EU-Kommission im November genehmigt hat. Ab 2028 sind Zwangsstillegungen ohne Entschädigung vorgesehen. Das Aus für die Steinkohleförderung in Deutschland kam bereits 2018: Am 21. Dezember schloß die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. (fis)

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