© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Dorn im Auge
Christian Dorn

Wieder ein plötzliches „Hatschi!“ Da höre ich von links die Bemerkung: „Gesundheit! Obwohl, ich weiß gar nicht, ob das nicht bereits versuchte Körperverletzung ist.“ Humor braucht es auch vor der Haustür, hat doch der Berliner Kurier die Straße zum „Glühwein-Strich“ der Hauptstadt ausgerufen, was sowohl die Polizeistreifen wie die Fernseh-Teams auf den Plan ruft. Mit harschen Worten werden die Leute in der Schlange vom Ordner ermahnt, eine Maske zu tragen und sich bitte schön zu zerstreuen. Bevor sie einen weiteren Glühwein ordern, sollen sie einmal um den Block laufen, jedenfalls dürften sie hier nicht herumstehen. Darauf mein Kommentar zum Aufseher, der in seinem normalen Leben mehrere Jahre für Xavier Naidoo gearbeitet hatte: Also analog zur Formel 1, ein Glühwein-Tank wie ein kurzer Boxenstopp. Und in der Tat: Dieser Weg wird kein leichter sein – abermals hadere ich mit mir, als ich auf das Fernsehteam vom RBB zusteuere, dem ich am liebsten in die laufende Kamera „Defund the RBB“ hineinrufen würde. 


Entsprechend aufgeheizt – ganz ohne Heizpilze – ist die Atmosphäre, und das bereits am lichten Tag. Der Kanadier, der in seinem Laden Retro-T-Shirts verkauft, teilt mit mir den Haß auf die „Demokratieabgabe“ – die ja tatsächlich dem Verlust an der demokratischen Teilhabe zuarbeitet, wie etwa die „Tagesschau“ oder die DLF-Desinformationen am Morgen tagtäglich unter Beweis stellen. Denke mir: Als faktischer Staatsfunk, der er oft ist, wirkte er unter dem Markennamen „Brainwash“ und einer entsprechenden Produktbeschreibung („100 Prozent Framing-Garantie“) viel ehrlicher und zeitgemäßer. Noch größer aber ist die Wut des Kanadiers auf die Gema, die ihm monatlich 15 Euro abknöpft, weil er im Laden zufällig die – von ihm selbst gekaufte – CD der Country-Legende George Jones abspielte, die er noch zu dessen Lebzeiten gekauft hatte. „Why the hell shall I pay for this? This man is dead – will you send the money to his grave-yard?“ Spätestens bei der „Diktatur“ des „Faschisten“ Trump tun sich aber auch zwischen uns Gräben auf – wenngleich er Trumps Haltung gegenüber der VR China zustimmt. Wie zum Beweis berichtet er von einem befreundeten weißen Ehepaar in den Staaten, die zwei schwarze Kinder adoptiert hätten und tagtäglich Todesängste litten, da an den Häusern in der Nachbarschaft überall Konföderiertenflaggen gehißt seien. Daher hätten sich beide Elternteile mit Pistolen bewaffnen müssen – denn sie wissen (nicht), was sie tun. Ich denk mir: Höchste Zeit für eine „Rat-Los“-Lotterie.