© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

ARD und ZDF ziehen vor Gericht
Nach Eklat in Magdeburg: Anstalten kämpfen um die Erhöhung des Rundfunkbeitrages
Ronald Berthold

Die öffentlichen-rechtlichen Sender rufen den finanziellen Notstand aus und ziehen vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Weil Sachsen-Anhalts Kenia-Koalition eine Abstimmung des Parlaments über das Gesetz zur Beitragserhöhung verhindert hat, um das Bündnis vor dem Bruch zu bewahren, kann diese nicht zum 1. Januar in Kraft treten (JF 51/20). Es geht um zusätzliche 381 Millionen Euro, die sie ARD, ZDF und Deutschlandradio in die Kassen spülen soll.

Man könne „von Not sprechen“, sagt der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow. Der Saarländische Rundfunk und Radio Bremen stünden womöglich vor der Pleite. Buhrow „drohte“ mit Einschnitten im Programm, ohne konkret zu werden. Ein Scheitern der Erhöhung träfe „die ohnehin von der Pandemie gebeutelte Branche massiv und nachhaltig“, ergänzt ZDF-Intendant Thomas Bellut. Sein Sender „könnte seine Wirkung als größter Auftraggeber auf diesem Markt nicht mehr wie bisher entfalten“. Auch Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue schlägt Alarm: „Ein Ausbleiben der Erhöhung würde sich unweigerlich auf die Programmgestaltung auswirken.“

Allerdings: Schon jetzt ist Deutschlands beitragsfinanzierter Rundfunk der teuerste der Welt. Doch mit den aktuell 8,1 Milliarden Euro pro Jahr kommt er nicht aus. Regierungspolitiker aus Bund und Ländern sind empört über die Blockade Magdeburgs. Sie unterstützen den Gang der Sender nach Karlsruhe. Die Linken-Fraktion in Sachsen-Anhalt, die monatelang die Beitragserhöhung ablehnte und erst kurz vor der Entscheidung zustimmen wollte, erwägt zudem, das Landesverfassungsgericht anzurufen. Sie könnte auch noch eine Abstimmung im Parlament erzwingen, um den vermeintlichen Eklat herzustellen, daß CDU und AfD gemeinsam votieren.

Einiges, aber nicht alles spricht dafür, daß die Klage der Sender vor dem BVerfG erfolgreich sein könnte. 2005 hatten mit Bayern, Sachsen und Nord­rhein-Westfalen sogar drei Länder eine Erhöhung der Gebühren abgelehnt. Das Bundesverfassungsgericht entschied damals, daß eine Parlamentsmehrheit nicht das Recht habe, eine von der „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) empfohlene Steigerung abzulehnen. Ein Präzedenzfall? Nicht wirklich, denn es urteilte auch, die Belastung der Bürger sei ein legitimer Grund, die Umsetzung der Empfehlung zu verweigern.

Deswegen dürfte Sachsen-Anhalt argumentieren, die durch die Corona-Maßnahmen ausgelöste Rezession mache eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages unangemessen. Denn diese war vor der Pandemie auf den Weg gebracht worden. In der Tat ist es schwer vermittelbar, daß private Unternehmen vor dem Ruin stehen, die staatsnahen Sender sich aber eine Zusatzeinnahme von 4,9 Prozent genehmigen. Der Beitrag soll von 17,50 auf 18,36 Euro monatlich steigen. Dies würde bis 2024 Mehreinnahmen von 1,5 Milliarden Euro bedeuten. Gefordert hatten die Sender sogar das Doppelte.

Kaum Sparbemühungen zu erkennen

Brauchte Karlsruhe für seine Entscheidung über die Erhöhung von 2005 zwei Jahre, könnte es diesmal sehr schnell gehen. Die Anstalten kündigten einen Eilantrag an und hoffen, daß das Gericht noch in diesem Jahr entscheidet. Die Erhöhung würde so doch zum Januar wirksam.

Schwere Geschütze fährt NDR-Intendant Joachim Knuth auf. Er sieht in der ausbleibenden Erhöhung nicht nur eine Gefahr für, sondern sogar „einen kalkulierten Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit, gegen freie Berichterstattung“. Warum seine Reporter nicht mehr „frei berichten“ können sollen, wenn deren Sender nicht mehr Geld bekommen, verriet er nicht.

Knuth räumte jedoch eine „gefühlte Unzufriedenheit mit unserer Informationsgebung“ ein. Aber dies mit „unserer Finanzierung“ zu vermischen, gehe nicht. Im Klartext: Die einseitige Berichterstattung sei kein Grund, nicht immer mehr zu bezahlen. Eine in der sonst marktwirtschaftlich ausgerichteten Medienbranche einmalige Argumentation: Jede Zeitung kann der Kunde abbestellen, wenn er „gefühlt unzufrieden“ ist.

Dennoch kritisieren die meisten privaten Medien das Vorgehen Magdeburgs. Die ablehnende Haltung der Journalisten gegen die AfD, durch die die Entscheidung indirekt zustande kam, dürfte größer sein als die Berücksichtigung der eigenen finanziellen Interessen. Mit ihren kostenlosen Onlineangeboten konterkarieren die Sender vielfach die Bezahlschranken der Zeitungen.

Allein das Einziehen der Rundfunkgebühr kostet jedes Jahr 175 Millionen Euro. 949 Angestellte arbeiten beim „Beitragsservice“, um die 46 Millionen Haushalte sowie Unternehmen abzukassieren und ihnen schon bei geringfügigen Vergehen Säumniszuschläge aufzubrummen. Zahlt man zum Beispiel seinen Beitrag monatlich und nicht in der Mitte des Quartals, wird per „vollstreckbarem Titel“ ein Aufgeld von 8 Euro fällig. Denn der letzte Beitrag kommt dann zu spät. Daß umgekehrt im voraus Geld überwiesen wurde, spielt keine Rolle.

Auch die Landesmedienanstalten, die die Privatsender beaufsichtigen, bekommen ihr Stück vom Beitragskuchen: 152 Millionen Euro. Der größte Batzen fließt jedoch mit 7,916 Milliarden direkt in die Kassen der Sender. Das ZDF erhält davon zwei Milliarden, der WDR 1,18, der SWR 1,0, der NDR 986 und der BR 931 Millionen Euro. Das Deutschlandradio verbraucht 230,5 Millionen. Die von der KEF als zu hoch kritisierten Personalkosten verschlingen nach Schätzungen, die die FAZ veröffentlichte, mehr als 40 Prozent des Beitragsaufkommens. Drei Viertel fließen davon auf die Konten der 43.600 Mitarbeiter, der Rest an die Pensionäre. Laut Kommission setzen die Sender lediglich 45,7 Prozent der eingezogenen Gebühren für „Programmaufwand“ und „Programmverbreitung“ ein – darunter die teuren Rechte für Sportsendungen.

Bisher stimmten die Gerichte für die Sender

Wenn mehr als die Hälfte der Einnahmen nicht fürs Programm verwendet wird, wirft das die Frage auf, warum die Intendanten nur dort mit Einschnitten „drohen“. Gibt es vielleicht doch einen Reformbedarf, den die AfD seit langem und nun auch die CDU Sachsen-Anhalt anmahnen? Den Rotstift haben die Anstalten trotz Zusagen bisher nur bei einer Summe von 338,3 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre angesetzt – 0,87 Prozent des Gesamtbedarfs.

Das BVerfG hat bisher in fast allen Fällen für die Sender entschieden. Klagen gegen die Haushaltsabgabe lehnten die Richter ab. In ein Urteil haben sie indes geschrieben, es müsse sichergestellt sein, „daß die Vielfalt der bestehenden Meinungen im Rundfunk in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet“. Seit Jahren verstoßen die Sender gegen diesen Grundsatz. Es käme einem Erdbeben gleich, sollte Karlsruhe die Klage deswegen abweisen. Die Öffentlich-Rechtlichen wären dann höchstrichterlich der politischen Einseitigkeit überführt.