© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 52/20 / 18. Dezember 2020

Jeder gefällte Baum erleichtert den Virenvormarsch
Studien zum Zusammenhang zwischen Entwaldung und Pandemie-Risiken drohen mit zunehmender Zahl an Zoonosen
Dirk Glaser

Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind „Luftverschmutzung und Klimawandel“ die wichtigsten der „Zehn Bedrohungen für die globale Gesundheit“. Erst dahinter folgen in ihrem Fünf-Jahres-Strategieplan beispielsweise Arzneimittelresistenzen gegen Bakterien, Parasiten, Viren und Pilze oder der Kampf gegen Ebola und andere hochbedrohliche Krankheitserreger wie Zika, Mers-CoV, Sars, Dengue und HIV.

Die „Krankheit X“, die Pflicht, „sich auf einen unbekannten Erreger vorzubereiten, der eine schwere Epidemie verursachen könnte“, tauchte 2019 nur in einem Nebensatz auf. Inzwischen ist „X“ als Covid-19, verursacht vom Coronavirus Sars-Cov-2, in aller Munde. Doch die Greta-Fixierung hatte fatale forschungspolitische Folgen: Finanziell verwöhnt wurden in erster Linie Projekte, die sich dem Einfluß des Klimawandels auf die Verbreitung von Krankheiten widmeten, während für anderes häufig die Mittel fehlten.

Das sollte sich im Zeichen von Corona radikal ändern, wie die Autoren zweier Studien hoffen, die die These untermauern, daß Entwaldung die Pandemie-Risiken erhöht (Naturwissenschaftliche Rundschau, 8/20). So rechnet ein Team um Andrew Dobson (Princeton University) vor, daß sich die jährlichen Kosten für Gegenmaßnahmen zum Raubbau an den Regenwäldern sowie zur Unterbindung des Wildtierhandels auf maximal 33 Milliarden Dollar jährlich beliefen. Das wäre nur ein Bruchteil des globalen Bruttosozialproduktverlustes von geschätzten 5,6 Billionen Dollar, den nun Covid-19 verursacht.

In welchem Ausmaß „Landnutzungsänderungen“ infolge von Abholzungen das zoonotische Potential von Wildtierpopulationen erhöhen, konnte auf bisher unerreichter Datenbasisbreite eine Metastudie von Rory Gibb (University College London) belegen. Denn bei Vögeln, Fledermäusen und Nagetieren nehmen nach menschlichen Eingriffen in Ökosysteme gerade jene Arten zu, die als Reservoirwirte für Krankheitserreger dienen. Die Bestände von Nicht-Wirtsarten schrumpfen hingegen. Der positive Vermehrungseffekt von Systemstörungen auf Wirtstiere gilt insbesondere für Arten, die Träger von Viren (unter anderem Coronaviren) und Bakterien sind.

Generell dominieren unter den Wirtsarten solche mit kurzem Lebenszyklus, hoher Reproduktionszahl und guter Anpassungsfähigkeit an gestörte Habitate in unmittelbarer Umgebung von Menschen. Gerade Entwicklungsländer mit steigenden Abholzungsraten, Expansion landwirtschaftlicher Flächen, intensiveren Kontakten zwischen Mensch und Nutz- beziehungsweise Wildtieren würden daher zu „Hotspots für die Ausbreitung von Pandemien“.

Einen unumkehrbaren Einstieg ins Zeitalter der „X“-Pandemien müssen solche Entwicklungen aber nicht bedeuten, glauben Dobson und Gibb. Voraussetzung sei aber, daß die großflächige Entwaldung gestoppt, Projekte zur frühzeitigen Erkennung von Zoonosen finanziell besser ausgestattet werden und China sich von seinem „unrühmlichen“ Wildtierhandel verabschiedet. Doch der beschäftigte bis zu seiner temporären Stillegung im Februar 2020 etwa 15 Millionen Menschen und setzte jährlich 20 Milliarden Dollar um.

„Ecology and economics for pandemic prevention“ (Science, 369-6502/20):  science.sciencemag.org