© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

„Nein, wir sind nicht einsatzbereit“
Bundeswehr: Dem offiziellen Rüstungsbericht widersprechen Soldaten und Opposition / SPD macht Rückzieher bei Drohnen-Beschaffung
Peter Möller

Kurz vor Weihnachten war im Bundestag etwas Seltenes zu erleben. In der Debatte über die Anschaffung bewaffneter Drohnen bekannte die SPD-Abgeordnete Siemtje Möller, daß sie die Haltung der Mehrheit ihrer Fraktion in dieser Frage nicht teile. Die SPD-Abgeordneten hatten sich zwei Tage zuvor mehrheitlich entschieden, die mit der Union vereinbarte Zustimmung zur Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr zu kippen, um die „Zivilgesellschaft“ an der Diskussion über das Für und Wider zu beteiligen. Als Reaktion auf diesen von den Parteilinken um die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sowie Fraktionschef Rolf Mützenich betriebenen überraschenden Kurswechsel legte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Fritz Felgentreu sein Amt nieder.

„Schlag ins Gesicht unserer Soldaten“

Möller, die nun als Nachfolgerin Felgentreus im Gespräch ist, äußerte  trotz ihrer ablehnenden Haltung zum Beschluß ihrer Fraktion Verständnis dafür, daß sich die Kritiker unter ihren Parteikollegen mit ihren Wahlkreisen rückkoppeln müßten. Sie verwies zudem darauf, daß die Drohnen frühestens 2022 für den Einsatz vorgesehen seien und daher für weitere Diskussionen auch noch Zeit sei. Möller warf dem Verteidigungsministerium vor, die Debatte zu spät angestoßen zu haben.

Bei Union, AfD und FDP stieß das vorläufige Nein der SPD zum Kauf von Kampfdrohnen auf harsche Kritik.  Der verteidigungspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Henning Otte (CDU), nannte das Verhalten der SPD „schäbig“. Die Sozialdemokraten ließen die Bundeswehr im Stich. Der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Alexander Gauland, bezeichnete die Blockade der SPD bei der Beschaffung bewaffneter Drohnen als einen „Schlag ins Gesicht unserer Soldaten“, der diese in Lebensgefahr bringe. Die SPD sei verteidigungspolitisch auf dem Weg zurück in die fünfziger Jahre. Der Obmann der AfD im Verteidigungsausschuß, Rüdiger Lucassen, ergänzte, die SPD habe sich mit dieser Verweigerungshaltung endgültig als sicherheitspolitischer Akteur verabschiedet. „Wer die Bundeswehr stabilisieren will, muß zukünftig ohne die Sozialdemokraten planen“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Lucassen betonte, es gebe im Bundestag schon heute eine Mehrheit, die die Fähigkeitslücke der Bundeswehr sofort schließen könne: „Mit den Stimmen der AfD-Fraktion und der FDP kann die CDU ihr Vorhaben umsetzen und unseren Soldaten den Schutz durch bewaffnete Drohnen ermöglichen.“

Zyniker in Berlin sagen dagegen, es könne der SPD eigentlich egal sein, ob die Bundeswehr Kampfdrohnen beschafft oder nicht – am Ende wären die Kampfmaschinen wegen technischer Probleme oder fehlender Ersatzteile sowieso die meiste Zeit nicht einsatzfähig. Denn seit Jahren schon plagt sich die Truppe als Folge des jahrzehntelangen Sparkurses bei der Instandsetzung und der Ersatzteilbevorratung mit der mangelnden Einsatzfähigkeit des Materials herum. Mitte Dezember legte das Verteidigungsministerium dem Bundestag den neuesten Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der 69 Hauptwaffensysteme der Bundeswehr vor. Und glaubt man dem Papier, ist die Bundeswehr in dieser Frage auf dem Weg der Besserung. „Wir haben mit durchschnittlich 74 Prozent Einsatzbereitschaft bei den Hauptwaffensystemen einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Das ist noch nicht hervorragend, aber gut“, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Teilweise lägen aber einige Systeme wie der Kampfhubschrauber Tiger deutlich unter dieser Zielmarke. Ältere Systeme drückten die Werte zusätzlich nach unten. „Es gibt aber auch erfreuliche Entwicklungen, etwa beim Radpanzer GTK Boxer, beim Hubschrauber NH90, beim Eurofighter, beim Transportflugzeug A400M oder bei den Korvetten. Deswegen war es im Rückblick die richtige Entscheidung, den Inspekteuren der Teilstreitkräfte die Verantwortung für ihre konkreten Projekte direkt zu übertragen“, sagte Zorn. Mit den aktuellen Zahlen sei das von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) vorgegebene Ziel erreicht worden. Die Bundeswehr könne ihre Aufträge „jederzeit und uneingeschränkt“ erfüllen.

Diese Lagebewertung des obersten deutschen Soldaten sorgte in der Truppe für einiges Aufsehen und Verwunderung, berichtet die Welt. Demnach hätten sich Soldaten aller Dienstgrade in den Messenger-Diensten intensiv über den Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft ausgetauscht. Das Echo habe zwischen Verwunderung und Entsetzen geschwankt. „Von welcher Armee spricht das Ministerium?“, fragte ein Major. Ein Oberstabsfeldwebel schrieb: „Spürbare Verbesserungen gibt es in unserer Brigade nicht. Wäre interessant, in welcher anderen. Ich kenne keine.“ 74 Prozent einsatzbereite Systeme hätten „absolut nichts mit der erlebten Wirklichkeit in der Truppe zu tun“, so ein Oberstleutnant. Ein Luftwaffenpilot bestätigte nach Angaben der Zeitung immerhin den Befund des Berichts, daß es mehr Flugstunden auf dem Eurofighter gebe: „Aber ausreichend Munition? Fehlanzeige.“ Ein Oberst des Heeres kommentierte: „Nein, wir sind nicht einsatzbereit.“

„Unterwäsche ist halt schwarz statt olivgrün“

Für den AfD-Verteidigungspolitiker Lucassen zeigt der Bericht zweierlei: „Zum einen hat sich an der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr rein gar nichts substantiell verbessert“, sagte er der JF, „Kramp-Karrenbauer scheitert genauso wie ihre Vorgängerin.“ Zum zweiten versuche das Verteidigungsministerium immer noch, „durch Taschenspielertricks in der statistischen Darstellung die dramatische Lage des Großgeräts zu verschleiern.“ Doch davon ließen sich weder Verbündete noch Gegner täuschen. „Und auch die Soldaten sind dieser Lügerei längst überdrüssig.“ Hintergrund ist der Vorwurf, die Bundeswehrführung beziehe sich bei der Berechnung nur auf den Verfügungsbestand und rechne zuvor die Geräte, die turnusgemäß in der Inspektion seien, heraus. Durch diesen statistischen Kniff sinke die Referenzgröße und erhöhe sich der prozentuale  Anteil des einsatzbereiten Materials.

Aber auch der Generalinspekteur sieht zumindest weiteren Verbesserungsbedarf bei der Einsatzbereitschaft des Großgerätes. „Bei der Beschaffung neuer Geräte muß die Robustheit mehr in den Vordergrund gestellt werden. Hochtechnisierte Waffensysteme müssen auch unter widrigen Bedingungen einsatzbereit sein. Wir müssen das Ausfallrisiko minimieren“, forderte Zorn. Das könne bedeuten, daß man öfter auf marktverfügbare Produkte zurückgreife, statt auf Sonderentwicklungen. „Das ist häufig auch die kostengünstigere und schnellere Alternative“, sagte er. Dieser Ansatz gilt nicht nur für künftige Kampfhubschrauber oder Panzer, sondern auch für die alltägliche Ausrüstung der Soldaten: „Wir beschaffen mittlerweile vieles einfach bei Outdoor-Markenherstellern. Da ist die Unterwäsche halt schwarz statt olivgrün.“

Der Blick auf die Zahlen dürfte den Optimismus des Generalinspekteurs weiter befeuern. Denn im kommenden Jahr steht der Truppe für das Material mehr Geld zur Verfügung. Bei der militärischen Beschaffung steigt das Ausgabenvolumen des Verteidigungsministeriums 2021 gegenüber dem Vorjahr um rund 154 Millionen Euro. Erhöhungen ergeben sich besonders bei der Beschaffung von Fahrzeugen und Kampffahrzeugen, Feldzeug- und Quartiermeistermaterial sowie bei der Beschaffung von Kampfflugzeugen, wie zum Beispiel dem Eurofighter und der Eurodrohne, teilte das Ministerium mit. Konkret sind demnach im Haushalt 2021 für militärische Beschaffung 8,09 Milliarden Euro vorgesehen, für Materialerhaltung 4,53 Milliarden Euro sowie für Forschung, Entwicklung und Erprobung 1,65 Milliarden Euro.

Ein wichtiger Punkt ist dabei, die Materiallager wieder zu füllen, um bei Bedarf eine schnelle Versorgung der Truppe zu gewährleisten – die Grundvoraussetzung, um die Einsatzfähigkeit des Großgerätes zu gewährleisten beziehungsweise zu verbessern. So werde derzeit schrittweise bis zum Jahr 2023 ein 30-Tage-Einsatzvorrat an Ersatz- und Austauschteilen aufgebaut. Der planerische Schwerpunkt liegt unverändert darauf, die Fähigkeiten, welche die Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung benötigt, wiederzuerlangen, heißt es zur Erläuterung aus dem Ministerium.





Bericht zu Netzwerken

Das sogenannte Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes gehört zum Geheimsten, was es im Bundestag gibt. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung verpflichtet. Öffentlich machte das PKGr nun seinen Bericht zur „Aufklärung möglicher rechtsextremistischer Netzwerke mit Bezügen zur Bundeswehr“. Grundtenor: Trotz bestehender Sicherheitsüberprüfungen gebe es „eine Reihe von Beschäftigten mit rechtsextremistischem und auch gewaltorientiertem Gedankengut.“ Der Militärische Abschirmdienst habe „seine Aufgaben nicht in hinreichendem Maße wahrgenommen“ – ein Hinweis darauf, warum dessen Chef jüngst gehen mußte (JF 41/20). Aber: Anders, als von manchen Politikern und Medien behauptet, gibt es „keine Beweise für eine ‘Schattenarmee’, die einen gewaltsamen Umsturz plant“. Die meisten sogenannten Netzwerke seien Chatgruppen. Für Aufsehen sorgte, daß dem Bericht auch der Abgeordnete Roman Reusch (AfD) zugestimmt hatte, obwohl darin die Rede von Verbindungen „zu rechtsextremistischen Bestrebungen“ wie dem „Flügel“ der AfD oder der Jungen Alternative ist. Dies sei jedoch eine reine Formalie gewesen, so Reusch zur JF. Der Bericht sei eine Sachverhaltsdarstellung, man habe  also nur zur Kenntnis genommen, was aus den Akten vorgetragen wurde. (vo)