© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Ein kleiner Schritt
Opfer des Kommunismus: Endlich liegt das Konzept für ein längst überfälliges Denkmal vor / Konkrete Gestaltung und Standort sind jedoch noch unbekannt
Christian Vollradt

Wird eine unendliche Geschichte nun doch abgeschlossen? Vergangene Woche hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) das lang ersehnte Konzept für ein Denkmal zugunsten der Opfer des Kommunismus an die Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestags, Katrin Budde (SPD), überreicht. Tatsächlich hätte das eigentlich schon im ersten Quartal dieses Jahres geschehen sollen. So sah es der im Dezember 2019 gefaßte Beschluß des Bundestags vor (JF 25/20).

Und auch der hatte eine längere Vorgeschichte: Bereits im Juni 2013 hatte der Ausschuß für Kultur und Medien in einer Beschlußvorlage die Bundesregierung aufgefordert, „die Einrichtung eines zentralen Mahnmals für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft zu prüfen“. Im September 2015 verabschiedete das Parlament dann einen Antrag von Union und SPD, laut dem der Bau eines solchen Denkmals „an einem zentralen Ort in Berlin vorzubereiten und zu begleiten“ sei. Wiederum zwei Jahre später scheiterte die Umsetzung am Streit in der schwarz-roten Koalition. Die Sozialdemokraten, so der Vorwurf aus der Union, hätten den gemeinsamen Entwurf „systematisch verwässert“ (JF 29/17). Unter anderem sah das SPD-Gedenkstättenkonzept vor, „auch die Opfergruppen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik im Osten“ einzubeziehen. 

„Antitotalitären Konsens stärken“

Davon ist bemerkenswerterweise im aktuell vorgelegten Konzept nichts zu spüren. Außer vielleicht in Spurenelementen, wenn an zwei Stellen „der von Deutschland ausgegangene Zweite Weltkrieg“ als Vorgeschichte erwähnt wird. Genau dieses Narrativ vertrat beispielsweise der frühere Berliner Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei). Er schrieb 2005 mit Blick auf die Speziallager, in die die sowjetische Militäradministration ihre Gegner einkerkerte, sowie auf die Stasi-Haftanstalten, sie seien „ohne die vorausgehenden 12 Jahre des Dritten Reiches nicht denkbar“. Dies entschuldige „nichts davon, was hier später so vielen Menschen angetan“ wurde, sei aber „eine wichtige Botschaft bei der Vermittlung von Zeitgeschichte“, um „deutlich zu machen, daß nichts bei Null anfängt, daß die politischen und historischen Rahmenbedingungen gesehen werden müssen, weil die Dinge nicht aus sich selbst heraus erklärt werden können“. 

Ein in Sachen Aufarbeitung des DDR-Unrechts führender Historiker quittierte diesen geschichtspolitischen Beipackzettel des Senators seinerzeit mit der sarkastischen Bemerkung, er frage Schüler beim Besuch einer Gedenkstätte für Stasi-Opfer dann oft, ob sie auch wüßten, warum Hitler den Reichstag direkt neben der Mauer habe errichten lassen ... 

Federführend an der Ausarbeitung des nun vorgestellten Denkmalkonzepts beteiligt waren die Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG). Koordiniert wurde das Ganze von einem Beirat unter Vorsitz der ehemaligen Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). 

Mit dem zu errichtenden Denkmal soll an der Gesamtheit der Opfer von kommunistischer Gewaltherrschaft und Verfolgung in Deutschland „angemessen und ehrend“ gedacht, die Erinnerung an das von der kommunistischen Diktatur begangene Unrecht und die Verbrechen wachgehalten, aber auch „der antitotalitäre Konsens gestärkt“ werden. Würdig soll das Denkmal sein, emotional ansprechend, aber nicht „erdrückend“ wirken. Mitgefühl und Empathie für die Opfer ausdrücken, den Hinterbliebenen oder Betroffenen einen Ort der Trauer und Ruhe bieten, zugleich aber auch ein Informationsangebot samt Warnungen vor den Folgen der kommunistischen Ideologie bieten. 

Als Opfer definiert werden alle diejenigen, die „in der Sowjetischen Besatzungszone/DDR diktatorischer Willkür ausgesetzt“ waren. Mit gemeint seien dadurch auch jene, die sich selbst nicht als Opfer, sondern ganz bewußt als tätige Widerständler im Kampf gegen das kommunistische Unrechtsregime verstanden hätten. Es folgt eine lange Aufzählung, wer in diese Gesamtheit der Opfer einbezogen wird. Dabei legen die Autoren offenbar Wert auf Vollständigkeit: Beginnend schon mit den Zivilisten, darunter viele Frauen und Mädchen, die 1944 aus den deutschen Ostgebieten in die sowjetischen Straf- und Arbeitslager verschleppt wurden, oder denen, „die nach Denunziationen willkürlich in den NKWD-Kellern inhaftiert wurden, zum Beispiel Kinder und Jugendliche, denen ‘Werwolf’-Tätigkeit vorgeworfen wurde“. 

Ausdrücklich erwähnt werden die Opfer der Waldheimer Prozesse, genauso wie Mitglieder bürgerlicher Parteien, enteignete Unternehmer und zwangskollektivierte Bauern, verfolgte Christen oder Insassen der berüchtigten Jugendwerkhöfe. Betroffene von Zwangsadoptionen zählen ebenso dazu, wie die, die an der innerdeutschen Grenze verhaftet, verletzt oder getötet wurden. Einbezogen werden zudem jene Bundesbürger, die im Westen getötet, aus dem Westen entführt, die wegen Fluchthilfe oder „staatsfeindlicher Hetze“ in der DDR inhaftiert worden waren.

Die 19 Seiten sind nun ein erster, längst überfälliger Schritt. Doch Papier ist geduldig, und das Wesentliche des Denkmals – seine Gestalt und der Ort, an dem es errichtet wird –, steht immer noch nicht fest. Der angepeilte Einweihungstermin, der 17. Juni 2023, also der 70. Jahrestag des Volksaufstands in der DDR, erscheint angesichts dessen sowie in Kenntnis der bisherigen Abläufe und der allgemeinen Berliner Verzögerungen schon fast ein wenig zu ambitioniert.