© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Im Hauruck-Verfahren
Paul Rosen

Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht der Parlamente. Erst als sie den Herrschern die Budgethoheit entwanden, war der Absolutismus endgültig gebrochen. Seitdem sind die Beratungen über Einnahmen und Ausgaben die wichtigsten im Deutschen Bundestag. Oder vielleicht besser: Haushaltsberatungen waren die wichtigsten Termine des Jahres. 

Das Verfahren läuft in der Regel so ab: Zunächst bringt der Finanzminister seinen Entwurf ein. Dann folgen monatelange Beratungen im Haushaltsausschuß über jeden einzelnen Titel, wo zum Teil gravierende Änderungen beschlossen werden. Schließlich steht eine einwöchige Schlußdebatte an, an deren Ende der geänderte Etatentwurf beschlossen wird. 

Zu Bonner Zeiten und auch noch in Berlin galt der Grundsatz, daß während der Debatten, von denen die „Generalaussprache“ über den Haushalt der Bundeskanzlerin die wichtigste ist, keine anderen Veranstaltungen im Bundestag stattfinden – insbesondere keine Sitzungen der Ausschüsse. Die Abgeordneten sollen sich voll auf den Haushalt konzentrieren können.

Daß in der jüngsten Haushaltswoche, als der Bundestag Ausgaben und Kredite in noch nie dagewesener Höhe (neue Schulden von 180 Milliarden Euro) beschloß, auch der Gesundheitsausschuß tagte, um sich von Minister Jens Spahn (CDU) über die jüngsten Entwicklungen in der Corona-Pandemie informieren zu lassen, mag man noch verstehen. Die Bekämpfung des Virus hat schließlich Vorrang. 

Aber daß der Rechtsausschuß ausgerechnet in der Haushaltswoche fünf öffentliche Anhörungen durchführte, zeigt ein seltsames Parlamentsverständnis dieses Gremiums, das seit der Abwahl des AfD-Politikers Stephan Brandner von Heribert Hirte (CDU) geleitet wird. In den fraglichen Sitzungen ging es um so grundstürzende Fragen wie das Führen von Doppelnamen oder das sogenannte „Containern“, also das Entwenden von Lebensmitteln aus Abfallcontainern von Supermärkten. Es bleibt in diesem Zusammenhang auch unverständlich, warum Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) fünf Anhörungen in einer Haushaltswoche genehmigt hat. Zudem tagten die drei Untersuchungsausschüsse. Schon wichtiger war eine Sitzung des Finanzausschusses. Wegen der Generaldebatte, der Redeschlacht zwischen Opposition und Kanzlerin Angela Merkel, begann dessen Sitzung am Mittwoch bereits um 7.30 Uhr und sollte bis neun Uhr, dem Beginn der Bundestagssitzung, beendet sein. 

Auf der Tagesordnung stand das Jahressteuergesetz – ein umfangreiches Werk von Steuerrechtsänderungen, das allein in so kurzer Zeit kaum abzuarbeiten gewesen wäre. Die Koalition brachte noch 42 Änderungsanträge in die Sitzung ein. Die Abarbeitung der Anträge erfolgte im Fließbandverfahren. Inhaltliche Debatten sind bei solchen Hauruck-Methoden nicht mehr möglich; Fehler bleiben unentdeckt. Aber so schaffen sich Politiker durch ihr Verhalten von heute ihren Handlungsbedarf von morgen.