© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

„Der Friedensprozeß ist gescheitert“
Kolumbien: Verlorene Jugend – wie die Corona-Rezession die Rekrutierung von Kindersoldaten befördert
Jörg Sobolewski

Ein Aufatmen ging durch das Land, als 2016 die „Revolutionären Bewaffneten Kräfte Kolumbiens“, die FARC, einen Friedensvertrag mit der Zentralregierung des südamerikanischen Landes unterschrieb. Seit 1964 hatte die sozialistische Guerilla das Land in einen Bürgerkrieg verwickelt, der neben Hunderttausenden Toten auch Millionen Binnenflüchtlinge und eine völlig verworrene politische Gemengelage hervorbrachte. 

Zeitweise lieferten sich mehrere links- und rechtsextreme Gruppen, das Militär und die Polizei sowie Drogenkartelle und gewöhnliche Kriminelle Gefechte, bei denen keiner mehr so richtig wußte, wer auf welcher Seite steht.

Friedensverhandlungen unter internationaler Vermittlung brachten schließlich 2017 den lange ersehnten Frieden, und tatsächlich erholte sich die Wirtschaft Kolumbiens in beeindruckendem Tempo. Doch dann kam mit dem Jahr 2019 eine Staatskrise. Der rechte Präsident Iván Duque, den viele als Marionette des schillernden Ex-Präsidenten Álvaro Uribe bezeichnen, wollte von dem Friedensvertrag nichts wissen und verordnete überdies seinem Land einen strengen Austeritätskurs. Zu allem Überfluß strömten Millionen venezolanischer Flüchtlinge in das Land. 

„Das Sorgenkind ist zurück“, formulierte diese Zeitung die schwierige Zukunftsperspektive zum Jahreswechsel 2019/20. Jetzt, ein Jahr später, mitten in einer weltweiten Pandemie, steht Kolumbien vor einem Alptraum. 

Nicht nur hat Präsident Duque den Friedensvertrag kritisiert, es ist seiner Regierung auch nicht gelungen, in den ehemaligen Guerillagebieten die staatliche Ordnung wiederherzustellen. In das Machtvakuum sind verschiedene Gruppen gestoßen, einige sind der organisierten Kriminalität zuzurechnen, andere gelten als Splittergruppen der FARC, die nie ihre Waffen abgegeben haben. 

Nun, so scheint es, ist die FARC in ihrer alten Stärke zurück. Nachdem im November einzelne Gruppen der sozialistischen Bewegung ihre Fusion unter dem Kommando des ehemaligen Kongreßabgeordneten Jesús Santrich bekanntgaben, setzt sich auch im Präsidentenpalast die Erkenntnis durch, in einen neuen Bürgerkrieg ziehen zu müssen. 

Santrich ist ein ehemaliges Mitglied des FARC-Führungsstabes, der enttäuscht über den mangelhaften parlamentarischen Erfolg der ehemaligen Guerilleros, erneut den Kampf gegen die Zentralregierung aufgenommen hat. Seine Truppe setzt dabei verstärkt auf die Rekrutierung minderjähriger Kämpfer. 

Vor allem in der unterentwickelten Provinz Cauca im Südwesten des Landes übernehmen die maskierten Männer und Frauen kleinere Dörfer und Städte. Durch den völligen Wegfall vieler Arbeitsplätze im Tourismus und dem Einzelhandel ist das Einkommensniveau in der Region weiter gesunken. Benötigte Infrastrukturprojekte wurden ausgesetzt und viele Sicherheitskräfte sind in anderen Landesteilen, vor allem an der Grenze zu Venezuela, gebunden. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Coalico, die sich mit den Auswirkungen des Konflikts auf schulpflichtige Kinder befaßt, wurden in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 190 Kinder rekrutiert. 

Die Guerilleros bieten teilweise 400 Euro Monatslohn für einen Heranwachsenden. Das ist das Doppelte des Durchschnittslohns in manch Regionen“, so José S. ein Hauptmann der Bundespolizei, im Gespräch. „Wir rechnen mit einer Rückkehr des Bürgerkriegs, der Friedensprozeß ist gescheitert.“