© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Goldrausch bei Corona-Impfstoffherstellern
Euphorische Überbewertung
Thomas Kirchner

Die Moderna-Aktie ging 2020 durch die Decke: 250, 750 Prozent – geht noch mehr? 50 Milliarden Dollar Wertzuwachs für einen Impfstoffhersteller. Auch Biontec, Pfizer, Johnson & Johnson, AstraZeneca und Novavax legten enorm zu. Doch bei 7,8 Milliarden Menschen stellt sich die Frage, ob die Firmen genug Gewinne mit dem Corona-Impfstoff erwirtschaften können, um diese Kursgewinne zu rechtfertigen – Mitte Dezember gab es einige Kursverluste.

Produktionskapazitäten in nie gekannter Größenordnung werden errichtet, bis Ende 2021 erwartet die Pfizer/Biontech-Allianz die Herstellung von 1,3 Milliarden Impfdosen, Moderna 500 Millionen bis eine Milliarde, Johnson & Johnson sowie Novavax je 500 Millionen, AstraZeneca zwei Milliarden und Sanofi/GSK eventuell 650 Millionen. Dazu kommen russische und chinesische Impfstoffe, die sich auf Milliarden Dosen summieren könnten. Auch die Tübinger Firma Curevac ist noch nicht aus dem Impfstoff-Rennen.

Das ist gut für Impfwillige und für die Stimmung in der Wirtschaft, wie der Ifo-Geschäftsklimaindex zeigt, aber schlecht für die Anleger. Bei so viel Konkurrenz schrumpfen die Margen, es droht ein Überangebot. Nur 1,3 Milliarden Menschen (17 Prozent der Weltbevölkerung) leben in entwickelten Industrienationen, in denen zahlungskräftige Krankenkassen Massenimpfungen finanzieren können. China setzt auf Eigenentwicklungen, nur 100 Millionen Biontec-Dosen sollen via Fosun Pharma ins Reich der Mitte gehen. Im Rest der Welt werden die Margen der Hersteller wohl gegen Null gehen.

Die Herstellungskosten bei Pfizer werden auf sechs Dollar pro Dosis geschätzt – bei 20 Dollar Verkaufspreis. Der Pfizer/Biontech-Gewinn aus dem Impfstoff wäre maximal 18 Milliarden Dollar bis Ende 2021, wird aber durch Kühl- und Transportkosten praktisch schrumpfen. Dagegen betragen die Kursgewinne der beiden 2020 etwa 50 Milliarden. Wollte Moderna den Wertzuwachs der Aktie über den Verkauf des Impfstoffs zu je 33 Dollar wettmachen, müßte es mit zwei Milliarden Dosen doppelt bis viermal soviel verkaufen wie geplant – sofern die Herstellungskosten nicht höher als die von Pfizer/Biontech liegen. Auch hier verschlechtern die Logistikkosten die Gewinnaussichten.

Rechnen kann sich die hohe Aktienbewertung nur, wenn das Virus bis Ende 2021 nicht eingedämmt ist und regelmäßige Nachimpfungen notwendig werden. Rußland bietet seinen Sputnik-V-Impfstoff Indien, Südamerika und Ungarn schon zu Kampfpreisen an. Funktioniert die neue mRNA-Technologie von Moderna, Biontec oder Curevac auch bei anderen Immuntherapien wie Krebs oder Aids? Gibt es Patente und werden weltweit dann Preise auf westlichem Niveau gezahlt? Im Goldrausch wurden die Verkäufer der Schürfpfannen reich, bei Corona eher die Laborausrüster, Logistiker oder Kühlschrankfirmen.