© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

„Eine globale Erfolgsgeschichte“
Geldpolitik: Die Bank of England etabliert ein schariakonformes Geschäftskonto / Bereits 1.500 islamische Investmentfonds
Marc Schmidt

Wie viele Menschen leben auf der Welt? Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung nennt die Zahl von 7,8 Milliarden. Doch selbst die vom Statistischen Bundesamt genannten 83.122.889 Einwohner Deutschlands sind nur eine Fortschreibung auf Grundlage des Zensus 2011. Davon waren nur noch 55 Prozent kirchensteuerzahlende Christen. Die Zahl der Muslime wurde Ende 2015 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf „maximal rund sechs Prozent (bis zu 4,7 Millionen Menschen)“ geschätzt.

Weltweit gab es 2017 laut dem Pew Research Center 1,8 Milliarden Muslime – das wären 23 Prozent der Weltbevölkerung. Und ihr Zuwachs sei doppelt so stark wie jener der Christen und Hindus: 2060 könnte es bereits drei Milliarden Muslime geben, so das Washingtoner Forschungsinstitut. In Großbritannien, wo es keine Personalausweise gibt und der Führerschein erst 1998 ein Paßbild bekam, gab es den letzten Zensus 2011: 63,2 Millionen Einwohner wurden erfaßt – davon bekannten sich 59,5 Prozent als Christen und nur 4,4 Prozent als Muslime – aber mit stark steigender Tendenz, wie das Office of National Statistics im Februar 2020 mitteilte.

Denn der Anteil der unter 25jährigen lag bei den Muslimen bei 48 Prozent. Bei den Hindus waren es 32 Prozent, den Christen nur 26 Prozent. Ein Großteil der britischen Muslime folgt dem islamischen Rechtssystem, der Scharia. Diese verbietet nicht nur Alkohol, Glücksspiel oder Schweinefleisch, sondern auch Zinsgeschäfte. In den muslimischen Bereich fallen ebenfalls einige der größten staatlichen und individuellen Vermögen, vor allem in den Ölstaaten. Und die Hälfte des globalen Bevölkerungswachstums konzentriert sich auf muslimisch geprägte Länder.

Geschäfte mit diesen Staaten oder Investoren und Bürgern von dort gestalten sich für westliche Banken schwierig, da deren Geschäftsmodell als nicht „haram“, also schariakonform, angesehen wird. Als erste europäische Zentralbank hat nun die Bank of England (BoE) angekündigt, in diese Lücke zu stoßen und 2021 eine „Alternative Liquiditätsfazilität“ (ALF) einzurichten.

Hilfskonstruktion zur Geldmengensteuerung

Denn das „islamische Finanzwesen ist eine globale Erfolgsgeschichte mit einem Vermögenswert von 2,4 Billionen Dollar“, erklärte BoE-Marktdirektor Andrew Hauser auf der „UK Islamic Finance Week“. Außerdem gebe es bereits 1.500 schariakonforme Investmentfonds. Ziel der BoE ist es offenbar, langfristig Vorteile im Finanzplatzwettkampf zwischen London, New York, Singapur, Paris oder Frankfurt zu erreichen.

In England, wo sich die muslimische Bevölkerung des Vereinigten Königreichs konzentriert, existieren bereits vier islamische Geschäftsbanken. Die wichtigste ist die mit dem Daimler- und VW-Anteilseigner Katar verbundene Al Rayan Bank. In London, wo seit 2016 der pakistanischstämmige Sunnit Sadiq Aman Khan Bürgermeister ist, will man auch neue Europazentralen internationaler muslimischer Banken anlocken, um der Abwanderung von Banken als Folge des Brexits entgegenzuwirken.

Die Scharia verbietet formal auch Spekulationen in Wertpapierentwicklungen und Investitionen oder Kreditvergaben an Unternehmen in den Branchen Waffen, Tabak oder Lebensmittel, die nicht den Glaubensgesetzen entsprechen. Will sich ein Kunde bei einer islamischen Bank Geld für den Konsum oder eine Investition leihen, tritt die Bank als Käufer auf und verkauft die Waren zu einem höheren Preis, der in Raten gezahlt wird, an den Kunden weiter. Für die Geschäftsbanken bedeutet dies eine stark abweichende Bilanzstruktur mit Eigentum an nicht banktypischen Wirtschaftsgütern, was eine westliche Bankaufsicht de facto unmöglich macht.

Noch größere Probleme resultieren aus dem Zinsverbot. Notenbanken steuern die Geldmenge und führen Konten der Geschäftsbanken, auf denen ihr Geld liegt, welches nicht in Bankgeschäfte wie Kredite investiert ist. Für die Einlagen auf diesen Konten sind im Euroraum seit 2014 negative Einlagenzinssätze zahlen. Diese Strafzinsen, die auch die BoE angewandt hat, dienen der Geldmengensteuerung, sind aber nicht schariakonform.

In England bedient man sich nun einer Hilfskonstruktion: Statt Zinsen erhalten die Geschäftsbanken Gewinnbeteiligungen aus einem bereits 2014 nach schariakonformen Prinzipien aufgelegten Staatsfonds für Guthaben. Im Gegenzug unterstellen die islamischen Geschäftsbanken ihre Geldportfolios der BoE. Protest gegen diese Regelung erhoben westliche Geschäftsbanken in London, die sich nun bei Fragen der Einlagenverzinsung benachteiligt sehen. Doch das Scharia-Banking ist ein billionenschweres Zukunftsgeschäft für eine wachsende Milliarden-Klientel.

Rede von BoE-Direktor Andrew Hauser:  www.bis.org